Quicksilver
über rotglühende Kohlen geht, doch irgendeine innere Sicherheit bewahrte ihn davor, auch nur einmal hinzufallen.
»Möchtet Ihr jetzt nach Hause zurückkehren, Monsieur?«
»O nein, Mademoiselle – ich amüsiere mich bestens«, erwiderte er, wobei er die Silben einzeln abbiss, wie ein Krokodil, das sich an einem Ruder hocharbeitet.
»Heute seid Ihr wärmer angezogen – ist das russischer Zobel?«
»Ja, aber eine eher minderwertige Kategorie – ein viel feinerer wartet auf Euch – wenn Ihr mich lebend zurückbringt.«
»Das ist doch nicht nötig, Monsieur -«
»Nicht nötig zu sein ist ja gerade der Sinn von Geschenken.« D’Avaux griff in eine Tasche und zog ein Viereck aus ordentlich gefaltetem schwarzem Samt hervor. » Voilà «, sagte er und reichte es ihr.
»Was ist das?«, fragte Eliza, während sie es aus seiner Hand entgegennahm und ihn bei der Gelegenheit für einen Augenblick am Oberarm packte, um ihn zu stützen.
»Ein kleines Nichts. Ich würde mich freuen, wenn Ihr es trüget.«
Der Samt entfaltete sich zu einem langen Band, etwa so breit wie Elizas Hand, dessen beide Enden durch eine recht hübsche Goldbrosche in Gestalt eines Schmetterlings zusammengehalten wurden. Eliza vermutete, dass es eine Schärpe sein sollte und steckte einen Arm und den Kopf hindurch, sodass es diagonal über ihrem Körper hing. »Vielen Dank, Monsieur«, sagte sie, »wie sieht es aus?«
Dieses eine Mal machte Comte d’Avaux ihr kein Kompliment. Er zuckte nur die Schultern, so als ginge es nicht darum, wie es aussah. Was Elizas Verdacht bestätigte, dass eine schwarze Samtschärpe über Schlittschuhkleidern ziemlich merkwürdig aussah.
»Wie seid Ihr gestern Eurer misslichen Lage entkommen?«, fragte sie ihn.
»Habe dafür gesorgt, dass der Statthalter den englischen Botschafter zum Binnenhof zurückbeorderte. Das zwang ihn, eine Wendung um 180 Grad zu vollziehen, ein Manöver, in dem die Diplomaten des heimtückischen Albion bestens geübt sind.Wir folgten ihm die Straße hinunter und bogen bei der nächsten Gelegenheit links ab. Und wie seid Ihr Eurer entkommen?«
»Was – ach Ihr meint, mit einem Tolpatsch Schlittschuh laufen zu müssen?«
»Natürlich.«
»Habe ihn noch eine halbe Stunde gequält – dann sind wir zu ihm aufs Land gefahren, um Geschäfte abzuwickeln. Ihr glaubt, ich sei eine Hure, Monsieur, hab ich Recht? Ich habe es in Eurem Gesicht gesehen, als ich das Wort Geschäft erwähnte.Wobei Ihr wahrscheinlich von einer courtisane sprechen würdet.«
»In meinen Kreisen, Mademoiselle, ist jeder, der Geschäfte irgendwelcher Art auf irgendeiner Ebene abwickelt, eine Hure. Innerhalb des französischen Adels macht man keinen Unterschied zwischen den vornehmsten Amsterdamer Kaufleuten und gemeinen Prostituierten.«
»Ist das der Grund, warum Ludwig die Holländer so hasst?«
»O nein, Mademoiselle, im Gegensatz zu diesen mürrischen Kalvinisten lieben wir Huren – in Versailles wimmelt es nur so davon. Nein, wir haben jede Menge intelligenter Gründe, die Holländer zu hassen.«
»Was für eine Art von Hure bin ich denn Eurer Meinung nach, Monsieur?«
»Das versuche ich gerade herauszubekommen.«
Eliza lachte. »Dann solltet Ihr darauf erpicht sein umzukehren.«
» Nein!« Der Comte d’Avaux vollführte eine wacklige, schlenkernde Drehung in einen anderen Kanal hinein. Etwas Massiges, Grimmiges schob sich in eine Lücke vor ihnen. Eliza hielt es zunächst fälschlicherweise für eine besonders düstere alte Backsteinkirche. Doch dann bemerkte sie oben auf der Vormauer Licht, das, zusammengebissenen Zähnen gleich, durch Zinnen hindurchschien, und viele schmale Laibungen, und ihr wurde klar, dass das Gebäude noch zu einem anderen Zweck als dem, Seelen zu retten, erbaut worden war. Es hatte hohe spitze konische Türme an den Ecken und gotische Verzierungen entlang der Giebelfronten, die sich nach oben wie steinerne Fäuste in den kalten Himmel reckten. »Der Rittersaal«, sagte sie und gewann ihre Orientierung wieder; die hatte sie nämlich nahezu verloren, während sie d’Avaux durch das Labyrinth von Kanälen gefolgt war, die sich netzartig durch das Hofgebied zogen wie Kapillargefäße durch das Fleisch. »Jetzt sind wir also auf dem Spij, Richtung Norden.« Nicht weit vor ihnen teilte der Spij sich und umfasste den Rittersaal und andere alte Gebäude der Grafen von Holland mit seinen Armen.
D’Avaux fuhr in rasendem Tempo in die rechte Abzweigung hinein. »Lasst uns dieses
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