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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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schinden.«
    Arlancs Kopf bewegte sich im Kerzenschein, als wäre er dabei, sich in den Mist hineinzugraben – Jack wurde klar, dass er den Kopf schüttelte, und zwar auf die unangenehme Art, wie er es getan hatte, wenn Jack mit etwas Dummem herausgeplatzt war. »Das ist nicht möglich«, sagte Arlanc. »Der Pferdehandel in Frankreich ist ganz und gar in der Hand der Makler – ein Landstreicher kann ungefähr so leicht in die Stadt reiten und auf der Place Royale ein Pferd verkaufen, wie er nach Versailles reiten und den Befehl über ein Regiment übernehmen kann. So etwas geht einfach nicht .«
    Wäre Jack erst vor kurzem in Frankreich angekommen, hätte er gesagt: Aber das ist doch verrückt – wieso denn nicht? , aber wie die Dinge lagen, wusste er, dass Arlanc die Wahrheit sagte. Arlanc empfahl ihm den Makler Soundso, wohnhaft im Haus zur Roten Katze in der Rue du Temple, doch dann fiel ihm ein, dass dieser Bursche ja auch ein Hugenotte und daher wahrscheinlich tot und ganz sicher nicht mehr im Geschäft war.
    Sie redeten die Nacht hindurch, während Jack ihn von Zeit zu Zeit mit Brot- und Käsestückchen fütterte und ein paar Bissen auch den anderen zuwarf, damit sie den Mund hielten. Als der Morgen anbrach, hatte Jack seine Stiefel ebenso weggegeben wie seine Vorräte, was einerseits dumm war. Aber er war ja zu Pferd unterwegs und Monsieur Arlanc zu Fuß.
    Frierend, hungrig, erschöpft und im Grunde genommen barfuß ritt er nach Norden. Er hatte die Pferde weder richtig ausruhen lassen noch ordentlich versorgt, sodass sie übellaunig waren und ihn das auf unterschiedliche Weise spüren ließen. Angeschlagen wie er war, bog er auch noch falsch ab und näherte sich Paris schließlich auf einer ihm unbekannten Route. Dadurch geriet er in mancherlei Bedrängnis, was nicht eben dazu angetan war, seine Stimmung zu heben. Eins dieser Missgeschicke hatte zur Folge, dass Jack eine weitere Nacht wach blieb, da er sich vor den Wildhütern irgendeines Adligen in einem Wald verstecken musste. Die gemieteten Pferde wieherten in einem fort, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sie angepflockt als Köder zurückzulassen, um seine Verfolger anzulocken, während er sich mit dem wackeren Türk aus dem Staub machte.
    Und so war er, als die Sonne am nächsten Tag aufging, gerade noch einen Schritt davon entfernt, wieder ein erbärmlicher Landstreicher zu sein. Er hatte zwei gute Pferde verloren, für die er verantwortlich war, und deshalb würden sämtliche Mietstallbesitzer und Pferdehändler in heller Empörung über ihn sein, was wiederum den Verkauf von Türk vollends unmöglich machen würde. So würde Jack sein Geld nicht bekommen und Türk nicht das Leben, das er verdiente: Im geräumigen Pferdestall eines Adligen gutes Futter fressen und aufs Sorgfältigste gepflegt werden, mit keiner anderen Verpflichtung als der, eine prachtvolle Stute nach der anderen zu besteigen. Jack würde sein Geld nicht bekommen, was bedeutete, dass er seine Jungs wahrscheinlich überhaupt nie zu Gesicht bekäme, da er es nicht über sich brachte, mit leeren Händen auf Tante Maeves Türschwelle zu erscheinen... würden doch alle Brüder und Cousins von Mary Dolores im selben Augenblick aufspringen und ihn mit ihren Eichenknütteln durch Ostlondon jagen...
    Das hätte ihn auch dann verrückt gemacht, wenn er nicht an einer Degeneration seines Gehirns gelitten und die dritte Nacht in Folge wach geblieben wäre. Verrücktheit, beschloss er, war einfacher.
    Als er sich Paris näherte und durch diese Gemüsefelder ritt, wo Dampf aus der noch heißen Scheiße der Stadt aufstieg, stieß er in Sichtweite der Stadtmauer auf einen großen eingefriedeten schlammigen Platz, der weiße Streifen aus gebranntem, ungelöschtem Kalk aufwies und mit menschlichen Schädeln und Knochen gesprenkelt war, die offen auf der Erdoberfläche lagen. Behelfsmäßige Kreuze waren hier und da in den Dreck gesteckt worden und ragten in unterschiedlichen Winkeln daraus hervor, bespritzt mit dem Kot der Krähen und Geier, die wartend auf ihnen saßen. Als Jack über den Platz ritt, waren diese Vögel jedoch alle die Straße hinaufgeflogen, um eine Prozession zu begrüßen, die gerade aus den Stadttoren herausgekommen war: Ein Priester in einem langen Mantel, der vom Schlamm so schwer war, dass er wie ein Kettenpanzer von seinen Schultern herabhing, mit einem großen Kruzifix, das er als Gehstock benutzte, und in der anderen Hand eine topfartige Glocke, der er von Zeit

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