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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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zu Zeit einen gequälten Ton entlockte. Hinter ihm ein Häufchen Armer, die kaputte Schaufeln auf dieselbe Weise einsetzten wie der Priester das Kruzifix, und dann ein von zwei klapperdürren Mauleseln gezogener Karren, der mit einer Reihe langer, in alte Getreidesäcke gewickelter und eingenähter Bündel beladen war.
    Jack sah zu, wie sie den Wagen am holprigen Rand einer offenen Grube vorne hochhievten, sodass die Bündel – anscheinend drei Erwachsene, ein halbes Dutzend Kinder und ein paar Babys – herabrutschten und in die Erde stürzten. Während der Priester mechanisch sein Latein herunterrasselte, streuten seine Helfer im Zickzack gebrannten, ungelöschten Kalk über die Körper und traten mit den Füßen die Erde wieder in das Loch zurück.
    Jack fing an, gedämpfte Stimmen zu hören: natürlich von unter der Erde. Die Schädel um ihn herum begannen sich schwatzend vom Dreck zu lösen und sich dann, auf unvollständigen Skeletten schwankend, unter einem mönchsartigen Singsang zu erheben. Doch in der Zwischenzeit hatten diese Totengräber, die sich jetzt um ihre Schaufeln drehten, begonnen, eine eigene Melodie zu summen: eine schwungvolle, irisch abgewandelte Hornpipe.
    Nach einem plötzlichen kurzen Galopp auf die Straße (Türk tänzelte jetzt regelrecht) fand er sich an der Spitze einer fröhlichen Prozession wieder: Er war zum Anführer einer fliegenden Keilformation von Landstreicher-Totengräbern geworden, deren wahlloses Drauflosschlurfen sich in eine verblüffende Gruppenchoreographie verwandelt hatte und die mit ihren Schaufeln eine Art Drill in geschlossener Ordnung vollführten.
    Hinter ihnen kam der Priester, der auf seine Glocke eindrosch, gefolgt von dem Leichenwagen, auf dem die Toten – die aus der Grube heraus und wieder auf den Karren gehüpft, aber immer noch in ihre Totenhemden gehüllt waren – kehlige, wehklagende Laute von sich gaben, wie Orgelpfeifen zu dem grimmigen, fast liturgisch anmutenden Singsang der Skelette. Als erst einmal alle auf der Straße Aufstellung genommen hatten, fielen die Skelette schließlich in einen dumpfen, kantigen Kirchengesang:
    Wo ha-hatte Gott bloß seinen Verstand,
als aus einem Stück Lehm vom Themseufer,
an dem Tag im Jahre sechzehn-sechzig
die Rohform eines Vagabunden schuf er.
     
    Da Gott niemals mit Absicht hervorbringen würde,
einen solchen Verlierer aus seiner Hand,
ist Jack’s Leben, wurde es doch im Himmel geplant,
der Beweis: Jehova verlor den Verstand!
    Für den Chorus wechselten sie zum gregorianischen Gesang über:
Quod erat demonstrandum. Quod erat demonstrandum …
    Doch an dieser Stelle begegneten sie, unweit des Stadttors, einer südwärts ziehenden Kolonne von galériens , offenbar Hugenotten, die in einem synkopierten Tempo einherschlurften, das ihre Ketten wie Schlittenglöckchen klingeln ließ; die hinter ihnen her reitenden Wachen schlugen ihre Peitschen im Takt zu einer munteren Weise, die die Hugenotten gerade sangen:
In Ketten gelegt um unser Genick,
sind Sklaven wir von Rex Ludewick,
nun denkt ihr vielleicht, wir wär’n nicht mehr frei.
Doch der Kosmos,
einem Uhrwerk gleich,
bietet den Menschen freie Wahl
so viel ein Fels wert ist, allemal!
    An dieser Stelle nun wurden die Totengräber von Fischweibern in gleicher Zahl begrüßt, die durch das Stadttor traten, sich mit ihnen zu Paaren formierten, ihre trillernden Sopran- und kräftigen Altstimmen erklingen ließen und sowohl die Hugenotten als auch die Skelette mit einer Art fröhlichem keltischen Reel übertönten:
    Es fuhr mal ein lustiger Vagabund,
nach Jamaika so zum Zeitvertreib,
und als er zurück nach London kam
da brauchte er schnell ein Weib.
     
    Er fand ein paar in der Drury Lane
In Houndsditch noch ein paar mehr,
doch weil er knapp bei Kasse war,
musst”ne Freundin, keine Hure, her.
     
    Nun liebte Jack das Theater,
nicht liebte er das Eintrittsgeld,
er traf eine irische Mimin dort
als er sich mal einschlich in diese Welt.
    Der Priester, der gegen diese Unterbrechung gar nichts einzuwenden hatte, arbeitete sie nun in seinen Hymnus ein, allerdings mit einem schroffen Rhythmuswechsel:
    Er hätte seinen Frieden machen können,
versöhnen mit Jesus und der Kirche sich,
stattdessen legte er ein Revuegirl flach
und ließ sie dann im Stich.
    Nun konnte Gott im Himmel niemals wollen,
dass er dies irische Kind so malträtiert,
drum ist Jacks Leben der klare Beweis,
dass der freie Wille existiert.
     
    Quod erat demonstrandum. Quod erat

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