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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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von Amsterdam erzählt – das zufälligerweise unmittelbar an die Oper angrenzte. »Er hat seinen gesamten Hof an diesen neuen Ort verlegt.«
    »Ich habe davon gehört, konnte es aber nicht glauben«, hatte Gomer Bolstrood gesagt, der sich unter Juden wohler zu fühlen schien, als er es je unter Engländern getan hatte. »So viele Menschen aus Paris wegziehen zu lassen – das kommt einem verrückt vor.«
    »Ganz im Gegenteil – das ist ein Meisterstück«, hatte de la Vega widersprochen. »Kennt Ihr den griechischen Mythos des Antaeus? Für die französischen Adligen ist Paris gleichsam die Mutter Erde – solange sie dort zu Hause sind, besitzen sie Macht, Wissen, Geld. Doch Ludwig, der sie zwingt, nach Versailles umzuziehen, ist wie Herkules, der Antaeus bezwang, indem er ihn vom Boden hochhob und ihn langsam bis zur Unterwerfung strangulierte.«
    »Ein hübscher Vergleich«, hatte Eliza gesagt, »aber was hat er damit zu tun, dass wir Mr. Sluys kurz unter Druck setzen?«
    De la Vega hatte sich ein Lächeln gestattet und zu Bolstrood hinübergeschaut. Doch Gomer war nicht in der Stimmung zum Grinsen gewesen. »Sluys ist einer dieser reichen Holländer, die danach lechzen, bei Franzosen Anerkennung zu finden. Bis vor dem Krieg 1672 hat er freundschaftliche Beziehungen zu ihnen gesucht – meistens ohne Erfolg, denn sie finden ihn dumm und vulgär. Aber das hat sich geändert. Die französischen Adligen konnten immer von ihren Ländereien leben, und nun zwingt Ludwig sie, sowohl einen Haushalt in Versailles als auch einen in Paris zu führen und, angetan mit vornehmen Kleidern und Perücken, in Kutschen einherzufahren -«
    »Die Schurken sind wie verrückt hinterm Mammon her«, hatte Gomer Bolstrood gesagt.
     
    In der Oper vor der Tür zu Sluys’ Loge sagte Eliza: »Ihr meint die Sorte von französischen Adligen, Monsieur, die mit dem Althergebrachten nicht mehr zufrieden sind und an der Amsterdamer Börse mitmischen möchten, damit sie sich eine Kutsche und eine Mätresse leisten können?«
    »Ihr verderbt mich, Mademoiselle«, sagte d’Avaux, »denn wie soll ich zur gemeinen Sorte Frau – langweilig und ungebildet – zurückkehren, nachdem ich mich mit Euch unterhalten habe? Ja, normalerweise wäre Sluys’ Loge voll gestopft mit dieser Sorte von französischen Adligen. Heute Abend hat er jedoch einen jungen Mann zu Gast, der mit seinem eigenen Vermögen hier ist.«
    »Was bedeutet -?«
    »Hat es geerbt – oder wird es erben – von seinem Vater, dem Duc d’Arcachon.«
    »Wäre es ignorant von mir zu fragen, wie der Duc d’Arcachon daran gekommen ist?«
    »Colbert hat unsere Kriegsmarine von zwanzig auf dreihundert Schiffe ausgebaut. Der Duc d’Arcachon ist Admiral dieser Marine – und war für den Ausbau weitgehend mitverantwortlich.«
    Der Boden um Mr. Sluys Stuhl herum war übersät mit zusammengeknüllten Papierfetzen. Zu gerne hätte Eliza ein paar davon glatt gestrichen und gelesen, aber seine schwer zu ertragende Lustigkeit und die Art, wie er Champagner eingoss, sagten ihr, dass an diesem Abend die Geschäfte für ihn gut liefen oder er es jedenfalls so empfand. »Juden gehen nicht in die Oper – das ist gegen ihre Religion! Was für ein Schauspiel de la Vega heute verpasst hat!«
    »›Du sollst nicht in die Oper gehen...‹ Ist das Exodus oder Deuteronomium?«, fragte Eliza.
    D’Avaux, der mit einem Mal ungewöhnlich nervös wirkte, fasste Elizas Bemerkung als Witz auf und verzog den Mund zu einem Lächeln, das so dünn und trocken war wie Pergament. Mr. Sluys hielt sie für Dummheit und wurde sexuell erregt. »De la Vega ist immer noch dabei, V.O.C.-Aktien leer zu verkaufen! Das wird er die ganze Nacht lang tun – bis er morgen früh die Neuigkeit hört und seine Börsenmakler anweist, damit aufzuhören!« Sluys schien fast beleidigt darüber, so mühelos zu Geld zu kommen.
    Jetzt sah Mr. Sluys so aus, als hätte er gerne einfach nur Champagner getrunken und Elizas Nabel betrachtet, bis jede Menge fette Damen sangen (was tatsächlich nicht mehr lange gedauert hätte), doch ein wilder Aufruhr, der von seiner eigenen Loge ausging, zwang ihn, den Blick zur Seite zu wenden. Eliza drehte den Kopf, um diesen jungen französischen Adligen – den Sohn des Duc d’Arcachon – am Geländer der Loge stehen zu sehen, wo er gerade von einem glatzköpfigen Mann mit einer blutigen Nase leidenschaftlich und sogar ein bisschen heftig umarmt wurde.
    Elizas liebe Mutter hatte ihr immer gesagt, es sei

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