Quicksilver
Unmengen dieser Aktien angehäuft hatten und sich dafür Geld liehen, das sie wiederum für diverse Unternehmungen verliehen: für Bergwerke, Reisen auf Segelschiffen, Sklavenfestungen an der Küste von Guinea, Kolonien, Kriege und (wenn die Rahmenbedingungen stimmten) auch einmal den gewaltsamen Umsturz eines Monarchen. Ein solcher Mann konnte allein schon dadurch Bewegung in den Markt bringen, dass er nur in der Börse auftauchte, und einen Crash oder Boom auslösen, indem er mit einem bestimmten Ausdruck im Gesicht hindurchschlenderte und dabei, wie das Weihrauchfass eines Bischofs eine sich ausbreitende Rauchwolke, eine Schleppe aus Käufen und Verkäufen hinter sich herzog.
Alle diese Männer schienen mit ihren Frauen und Mätressen hier in der Oper zu sein. Die Menge war gewissermaßen das Innere eines Cembalos und jeder Einzelne eine gespannte Saite, die auf Tastenanschlag hin klimperte oder klagte. Zumeist war es eine Kakophonie, so als kopulierten Katzen auf der Klaviatur. Doch beim Eintreffen bestimmter Persönlichkeiten wurden deutlich spürbar bestimmte Saiten angeschlagen.
»Die Franzosen haben dafür einen Begriff: Sie nennen es einen frisson «, murmelte der Herzog von Monmouth hinter vorgehaltener Hand im Glacéhandschuh, als sie auf dem Weg zu ihrer Loge waren.
»Wie Orpheus kämpfe ich gegen das Verlangen an, mich umzudrehen und hinter mich zu schauen -«
»Lasst es bleiben, Euer Turban würde auseinander fallen.«
Eliza hob die Hand, um den Wirbelsturm aus himmelblauer türkischer Seide zu betasten. Er war mittels diverser heidnischer Broschen, Spangen und Nadeln in ihrem Haar verankert. »Unmöglich.«
»Warum wollt Ihr Euch denn überhaupt umschauen?«
»Um die Ursache für diesen frisson zu sehen.«
»Das sind wir , Dummerchen.« Und dieses eine Mal hatte der Herzog von Monmouth etwas gesagt, was nachweislich stimmte. Zahllose juwelenbesetzte und vergoldete Operngläser waren auf sie gerichtet worden und ließen ihre Besitzer aussehen wie glotzäugige Amphibien, die zusammengedrängt auf einer Sandbank hockten.
»Die weibliche Begleitung des Herzogs war noch nie glanzvoller gekleidet als er «, wagte Eliza zu äußern.
»Und wird es auch nie mehr sein«, knurrte Monmouth. »Ich hoffe nur, dass Euer Glanz sie nicht von dem ablenkt, was sie eigentlich sehen sollen .«
Während sie sich unterhielten, standen sie am Geländer ihrer Loge und gaben sich den prüfenden Blicken preis. Das Proszenium, wo die Darsteller herumtobten, war nämlich nur die augenfälligste der Bühnen im Opernhaus und die Geschichte, die sie zum Besten gaben, nur eines von verschiedenen Dramen, die sich alle gleichzeitig abspielten. So wurde zum Beispiel die Loge des Statthalters, nur ein paar Ellen entfernt, gerade von Wachen in blauen Uniformen nach französischen Bomben durchsucht. Das war langweilig geworden, und deshalb hatten nun fast alle ihre Aufmerksamkeit dem Herzog von Monmouth und seiner neuesten Mätresse zugewandt. Unter den Blicken so vieler gewichtiger V.O.C.-Aktionäre durch ebenso viele Paare speziell für sie geschliffener Linsen kam Eliza sich vor wie ein Insekt unter dem Vergrößerungsglas eines Naturphilosophen. Sie war froh, dass zu dieser Aufmachung einer türkischen Kurtisane ein Schleier gehörte, der alles außer ihren Augen verbarg.
Selbst durch den schmalen Schlitz des Schleiers hatten manche der Beobachter vielleicht für einen kurzen Moment Panik oder zumindest Beunruhigung in Elizas Augen entdeckt, als der frisson sich zu einem allgemeinen Gemurmel der Verwirrung auswuchs: all die Opernbesucher, die sich da unten anstießen, mit einem kurzen Aufwärtsschielen oder kaum merklichen Bewegungen behandschuhter und beringter Finger nach oben deuteten und einander Vermutungen zuflüsterten, während ihre Perücken sich gegenseitig ins Gehege kamen.
Die Menge brauchte ein Weilchen, um überhaupt herauszufinden, wer Elizas Begleiter war. Monmouths Aufzug war verblüffend praktisch, so als wolle er unmittelbar nach der Vorstellung auf ein Schlachtross springen und durch Sümpfe, Wälder und Gestrüpp galoppieren, bis er auf einen Feind stieß, der erschlagen werden wollte. Sogar sein Schwert war ein Kavalleriesäbel – und kein Rapier. In diesem Punkt zumindest war die Botschaft deutlich genug. Die Frage lautete nur, in welche Richtung Monmouth reiten würde und welche Art von Köpfen er im Besonderen mit diesem Säbel abzuhacken beabsichtigte.
»Ich wusste es doch – Euren Nabel zu
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