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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Gäste beugten sich zu ihm hinüber, um zu flüstern und zu lauschen. Der junge französische Adlige nickte, drehte sich zu Monmouth um, bekreuzigte sich und öffnete dann die Hand, so als würfe er dem Herzog ein Gebet zu. Eliza rechnete fast damit, eine Taube aus seinem Ärmel fliegen zu sehen. Monmouth tat, als finge er sie in der Luft auf, und küsste sie.
    Mr. Sluys dagegen war nicht in der Stimmung zum Beten. Er dachte nach. Selbst im Halbdunkel, durch ein Miasma von Kerzenlicht und Tabakrauch hindurch, konnte Eliza sein Gesicht lesen: Wenn Monmouth in Ungarn Türken erschlägt, heißt das, er wird Holland nicht als Sprungbrett zu einer Invasion Englands benutzen – also wird es keine Katastrophe in den englisch-holländischen Beziehungen geben – also wird die englische Kriegsmarine keine Breitseiten auf die holländische Handelsflotte abfeuern – also wird die V.O.C.-Aktie steigen. Sluys hielt die rechte Hand leicht in die Höhe und spielte mit zwei Fingern in der Luft. Plötzlich beugte ein Diener sich über sein Schulterstück, prägte sich irgendetwas ein, zählte etwas an den Fingern ab. Er nickte heftig wie eine pickende Möwe, und weg war er.
    Eliza fuhr sich mit der Hand an den Hinterkopf, löste ihren Schleier und ließ ihn auf die Brust sinken. Dann genoss sie die Oper.
    Hundert Fuß von ihr entfernt verbarg Abraham de la Vega sich in der Seitenkulisse mit einem Fernglas, dessen Linsen sein verstorbener Cousin zweiten Grades, Baruch de Spinoza, mit Toleranzen von wenigen Tausendstel Zoll geschliffen hatte. Durch diese Linsen hindurch sah er den Schleier fallen. Er war neun Jahre alt. Wie der Mondschatten einer Nachtigall huschte er durch den Bühnenbereich hinter den Kulissen und aus der Oper hinaus. Dort wartete sein Onkel Aaron de la Vega im Sattel eines schnellen Pferdes.
     
    »Hat er Euch schon angeboten, Euch zur Herzogin zu machen?«, fragte d’Avaux während der Pause.
    »Er sagte, er hätte es getan – wenn er nicht auf seinen Thronanspruch verzichtet hätte«, sagte Eliza.
    D’Avaux amüsierte sich über ihre Vorsicht. »Da Euer Galan gerade seine platonische Freundschaft mit der Prinzessin auffrischt, darf ich Euch vielleicht zu Mr. Sluys Loge begleiten? Ich ertrage es nicht, Euch vernachlässigt zu sehen.«
    Eliza schaute zur Loge des Statthalters hinüber. Mary war da, aber Wilhelm hatte sich bereits davongeschlichen und das Feld Monmouth überlassen, dessen mutiger Entschluss, gen Osten zu ziehen und gegen die Türken zu kämpfen, Mary fast zum Weinen gebracht hatte.
    »Ich habe den Prinzen noch nie richtig gesehen«, sagte Eliza, »nur ganz flüchtig, als er in letzter Minute herbeieilte.«
    »Da habt Ihr nichts versäumt, Mademoiselle, dessen könnt Ihr sicher sein.« Und er bot Eliza seinen Arm. »Wenn es stimmt , dass Euer Beau bald gen Osten abreist, werdet Ihr andere junge Männer zu Eurer Unterhaltung brauchen. Um ehrlich zu sein, es wird höchste Zeit, dass Ihr Euch verändert. La France hat ihr Bestes getan, um Monmouth zu zivilisieren, aber der angelsächsische Makel saß zu tief. Er hat nie die angeborene Diskretion eines Franzosen entwickelt.«
    »Ich bin tödlich gekränkt darüber, dass Monmouth indiskret war«, sagte Eliza fröhlich.
    »Ganz Amsterdam und annähernd halb London und Paris haben von Eurem bezaubernden Wesen erfahren. Doch obwohl die Beschreibungen des Herzogs entsetzlich vulgär – oder aber völlig unverständlich – waren, können gebildete Herren über Zotenreißereien hinausschauen und den Schluss ziehen, dass Ihr Qualitäten besitzt, Mademoiselle, die über die rein gynäkologischen hinausgehen.«
    »Wenn Ihr ›gebildet‹ sagt, meint Ihr dann ›französisch‹?«
    »Ich weiß, Ihr zieht mich auf, Mademoiselle. Ihr erwartet, dass ich sage: ›Ja natürlich, alle französischen Herren sind gebildet.‹ Aber so ist es nicht.«
    »Monsieur d’Avaux, ich bin entsetzt, Euch so etwas sagen zu hören.«
    Sie hatten fast die Tür zu Sluys Loge erreicht. D’Avaux trat einen Schritt zurück. »Normalerweise befände sich in der Loge, die Ihr und ich gleich betreten werden, nur der Abschaum des französischen Adels, der mit Leuten wie Sluys verkehrt – der heutige Abend bildet allerdings eine Ausnahme.«
    »Ludwig der Große – wie er sich jetzt selbst nennt – hat sich ein neues Schloss außerhalb von Paris gebaut, an einem Ort namens Versailles«, hatte Aaron de la Vega ihr bei einem ihrer Treffen in dem engen und überfüllten jüdischen Viertel

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