Quicksilver
als sie näher kamen, sah sie, dass es ein großes (wenn auch leicht gebautes) Schiff war, mindestens zwanzig Ellen lang, und von geringerer Breite als sie erwartet hatte – ein Halbmond.
»Ich habe nicht vor, Euch mit langweiligen Einzelheiten zu belästigen – das gehört zum Aufgabenbereich von Jacques, hier, und Jean-Baptiste...«
»Kommen die mit mir?!«
»Der Weg nach Paris ist nicht frei von Gefahren, Mademoiselle«, sagte d’Avaux trocken, »selbst für die Schwachen und Unschuldigen .« Damit wandte er den Kopf in Richtung der immer noch leicht rauchenden Überreste von Mr. Sluys’ Häuserreihe, nur einen Gewehrschuss entfernt an eben diesem Kanal.
»Ihr denkt offenbar, ich sei nichts von beidem «, sagte Eliza schniefend.
»Eure Gewohnheit, im Hafengebiet Matrosen zu harpunieren, würde es dem größten Lüstling schwer machen, Illusionen über Eure wahre Natur zu hegen -«
»Ihr habt davon gehört?«
»Ein Wunder, dass Ihr nicht festgenommen wurdet – hier in einer Stadt, in der es ein Vergehen ist, jemanden zu küssen .«
»Habt Ihr mich verfolgen lassen, Monsieur?« Eliza warf einen empörten Blick auf Jacques und Jean-Baptiste, die vorerst so taten, als wären sie taub und blind, und sich mit einem Wagen voll ziemlich vornehmen Gepäcks beschäftigten. Die meisten dieser Taschen hatte sie noch nie gesehen, aber d’Avaux hatte mehr als einmal angedeutet, dass sie mitsamt ihrem Inhalt ihr gehörten.
»Euch werden immer Männer verfolgen, Mademoiselle, am besten gewöhnt Ihr Euch daran. In jedem Fall – wenn wir einmal das seltsame Harpunieren beiseite lassen – gibt es in dieser Stadt gewisse Wichtigtuer, Schmähredner und cancaniers , die steif und fest behaupten, ihr hättet mit Mr. Sluys’ finanzieller Implosion zu tun; ebenso mit der Invasionsflotte, die kürzlich von Texel aus unter der Flagge des Herzogs von Monmouth Richtung England segelte; und mit dem wilden Mob aus oranientreuen Patrioten, der, wie manche behaupten, Mr. Sluys Wohnhaus in Brand gesteckt hat. Ich glaube natürlich nichts von diesem ganzen Unsinn – und dennoch mache ich mir Sorgen um Euch -«
»Wie ein verärgerter Onkel. Ach, wie lieb!«
»So. Diese Kaag bringt Euch und Euer Gefolge...«
»Über das Haarlemmermeer nach Leiden und von dort via Den Haag nach Den Briel.«
»Wie habt Ihr das erraten?«
»DasWappenschild der Stadt Den Briel ist hier auf die Heckreling geschnitzt, gegenüber dem von Amsterdam«, sagte Eliza und zeigte zum Heck hinauf. D’Avaux drehte sich dorthin um, ebenso wie Jacques und Jean-Baptiste; und im selben Moment hörte Eliza hinter sich ein unheimliches, seufzendes, pfeifendes Geräusch, wie von einem Dudelsack, der Luft verliert, und sie wurde von einem vorbeigehenden Buren angerempelt, der auf die Gangway zusteuerte. Als dieser Provinzler auf die Kaag hinaufkletterte, sah sie sein seltsam vertrautes buckliges Profil und hielt für einen Augenblick die Luft an. D’Avaux drehte sich zu ihr um. Irgendetwas sagte Eliza, dass dies nicht der passende Zeitpunkt war, um einen Aufstand zu machen, und so redete sie munter drauflos: »Sie hat mehr Segel als das übliche Kanalboot – vermutlich zur Überquerung des Haarlemmermeers. Sie ist ein schlankes Schiff, dazu gemacht, dieses enge Nadelöhr zwischen Leiden und Den Haag zu passieren. Andererseits ist sie zu leicht, um durch die Strömungen und Gezeiten von Zeeland zu kommen – die Versicherung dafür könnte man gar nicht aufbringen.«
»Ja«, sagte d’Avaux, »in Den Briel müsst Ihr auf ein leichter zu versicherndes Schiff umsteigen, das Euch nach Brüssel bringen wird.« Er schaute Eliza seltsam an – so argwöhnisch! Der Bure war unterdessen in dem Wirrwarr aus Passagieren und Gepäck an Deck der Kaag verschwunden. »Von Brüssel aus werdet Ihr über Land nach Paris weiterreisen«, fuhr d’Avaux fort. »Der Landweg ist im Sommer weniger angenehm – aber während eines bewaffneten Aufstands gegen den König von England weitaus sicherer .«
Eliza seufzte tief und versuchte, die Vorstellung von einer Million aus der Knechtschaft entlassenen Sklaven in ihrem Kopf festzuhalten. Es war jedoch eine zerbrechliche, hauchdünne Konstruktion, die vom hellen Amsterdamer Sommerlicht und den harten, klaren Umrissen schwarzer Gebäude mit weißen Fenstern zerrissen wurde. »Mein reizender kleiner Herzog«, sagte sie, »so ungestüm!«
»Étienne d’Arcachon – der übrigens in jedem seiner Briefe nach Euch fragt – leidet an einem
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