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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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gelehrt hatte.
    Es hatte sich, mit anderen Worten, um eine Herrschaft gehandelt. Die Herrschaft Charles’ II. Er war der König, er liebte Frankreich und hasste die Puritaner, war stets reichlich mit Mätressen eingedeckt und knapp bei Kasse, und im Grunde blieb immer alles beim Alten.
     
    Nun stand Dr. Waterhouse auf den Privy Stairs des Königs: einer groben Holzplattform, angeschmiegt an eine senkrechte Wand aus Kalksteinblöcken, die geradewegs in die Themse abfiel. Sämtliche Palastgebäude, die zum Fluss hin lagen, waren so gebaut, weshalb er, während er flussabwärts blickte und nach dem Boot mit den Chirurgen Ausschau hielt, eine lange, ununterbrochene, wenn auch etwas bunt gescheckte Mauer entlangvisierte, die nur gelegentlich von einem Fenster oder einem Pseudobollwerk aufgelockert wurde. Dreihundert Fuß stromabwärts ragte ein Landungssteg in den Fluss, auf dem mehrere unerschrockene Fährmänner in dem steifbeinigen Gang von Leuten, die nicht erfrieren wollen, hin und her gingen. Ihre Boote waren längsseits festgemacht, und sie warteten auf Passagiere, aber es war spät und kalt, der König lag im Sterben, und kein Londoner machte von dem alten Durchgangsrecht durch den Palast Gebrauch.
    Jenseits dieses Landungsstegs beschrieb der Fluss eine gemächliche Biegung nach rechts, auf die London Bridge zu. Während das Mittagszwielicht zu einem aschgrauen Nachmittag verdämmert war, hatte Daniel ein Boot vor dem Old Swan abstoßen sehen, einer Schänke am Nordende der Brücke, deren Kundschaft sich aus denen rekrutierte, die keine Lust verspürten, in den wildbewegten Wassern unter den Brückenbögen ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Seither kämpfte sich das Boot flussaufwärts und war mittlerweile so nahe, dass Daniel mit Hilfe des mitgeführten Perspektivs erkennen konnte, dass es nur zwei Passagiere beförderte.
    Er dachte schon seit einer Weile zurück an jene Nacht im Jahre 1670, als er in Pepys’ Kutsche nach Whitehall gekommen war und – bemüht, sich möglichst ungezwungen zu geben – den Privy Garden durchstreift hatte. Damals hatte er das keck und romantisch gefunden, heute jedoch knirschte er mit den Zähnen angesichts der Erinnerung, wie albern er sich damals aufgeführt hatte, und dankte Gott dafür, dass nur Cromwells abgetrennter Kopf Zeuge gewesen war.
    In jüngster Zeit hielt er sich häufig in Whitehall auf. Der König hatte beschlossen, seinen Griff ein wenig zu lockern; er hatte begonnen, ein paar Barkers und Quäker aus dem Gefängnis zu entlassen, und Daniel zu einer Art inoffiziellem Sekretär für sämtliche Angelegenheiten ernannt, die mit verrückten Puritanern zu tun hatten: das heißt zu Knott Bolstroods Nachfolger, mit genau den gleichen Bürden, aber sehr viel weniger Macht. Von den ungefähr zweitausend Räumen von Whitehall hatte Daniel vermutlich mehrere Hundert betreten – genügend jedenfalls, um zu wissen, dass der Palast, wie eine Karte vom Innenleben eines Höflings, ein schmutziges, von Schimmel befallenes Labyrinth und nur dem Namen nach kein Elendsquartier war. Ganze Gebäudeteile waren von dem königlichen Rudel halb wilder Spaniels usurpiert worden, unter denen selbst nach königlichen Maßstäben Inzucht herrschte und die demzufolge selbst nach Spaniel-Maßstäben übergeschnappt waren.Whitehall Palace war letztlich ein Haus: das Haus einer Familie, einer sehr seltsamen alten Familie. Schon eine Woche zuvor hatte Daniel diese Familie erheblich näher kennen gelernt, als es jedem normalen Menschen wünschenswert erschiene. Und nun wartete er lediglich deshalb auf den Privy Stairs, um einen Vorwand dafür zu haben, aus der Schlafkammer des Königs – ja, nachgerade aus seinem Bett – herauszukommen und ein wenig Luft zu atmen, die nicht nach den königlichen Körperflüssigkeiten roch.
    Etwas später kam der Marquis von Ravenscar zu ihm heraus. Roger Comstock – der unter den Männern, mit denen Daniel in Cambridge studiert hatte, am wenigsten zu versprechen und bis jetzt am erfolgreichsten schien – war am Montag, als der König erkrankt war, noch im Norden gewesen. Er beaufsichtigte dort den Bau seines Herrenhauses, das Daniel für ihn entworfen hatte. Es musste ein, zwei Tage gedauert haben, bis die Nachricht ihn erreichte, und er musste sofort aufgebrochen sein: Es war jetzt Donnerstag Abend. Roger trug noch seine Reisekleidung und wirkte düsterer, als Daniel ihn je gesehen hatte – fast schon puritanisch.
    »Mylord.«
    »Dr. Waterhouse.«
    An Rogers

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