Quicksilver
hier gewesen war. Er hatte Ansichten der Stadt studiert, die verschiedene Künstler aus unterschiedlichen Blickwinkeln gezeichnet hatten. Er schwadronierte darüber, dass die Stadt eine bestimmte Gestalt habe, jedoch von jedem Menschen darin, je nach dessen einzigartigem Standort, auf unterschiedliche Weise wahrgenommen werde.«
»Jeder frisch gebackene Student glaubt das.«
»Das war vor über einem Dutzend Jahren. In seinem jüngsten Brief an mich scheint er der Ansicht zuzuneigen, dass die Stadt keineswegs eine absolute Gestalt habe...«
»Barer Unsinn.«
»...sondern vielmehr in gewissem Sinne das Ergebnis der Gesamtsumme der Wahrnehmungen ihrer selbst durch alle ihre Bestandteile ist.«
»Ich wusste doch, dass wir ihn nie in die Royal Society hätten aufnehmen sollen!«
»Ich kann das nicht sehr gut erklären«, gab Daniel zu, »weil ich es noch nicht so recht verstehe.«
»Warum setzt Ihr mir dann ausgerechnet jetzt damit zu?«
»Der springende Punkt hat mit Wahrnehmungen zu tun, und wie verschiedene Teile der Welt – verschiedene Seelen – alle anderen Teile – die anderen Seelen – wahrnehmen. Manche Seelen haben Wahrnehmungen, die wirr und unscharf sind, als spähten sie durch schlecht geschliffene Linsen. Andere dagegen gleichen Hooke, wie er durch sein Mikroskop, oder Newton, wie er durch sein Spiegelfernrohr späht.«
»Weil sie die besseren optischen Geräte haben!«
»Nein, Newton und Hooke sehen auch ohne Linsen und Hohlspiegel Dinge, die Ihr und ich nicht sehen. Leibniz hat eine seltsame Umkehr dessen im Sinn, was wir normalerweise meinen, wenn wir einen Menschen als hervorragend oder einmalig bezeichnen. Normalerweise meinen wir mit diesen Begriffen, dass dieser Mensch selbst auf irgendeine Weise aus der Masse herausragt. Leibniz dagegen sagt, die Einmaligkeit eines solchen Menschen wurzele in seiner Fähigkeit, den Rest des Universums mit ungewöhnlicher Klarheit wahrzunehmen – besser als gewöhnliche Seelen das eine vom anderen unterscheiden zu können.«
Roger seufzte. »Ich weiß nur, dass Dr. Leibniz vor kurzem einige sehr unhöfliche Dinge über Descartes gesagt hat -«
»Ja, in seiner Brevis Demonstratio Erroris Memorabilis Cartesii et Aliorum Circa Legem Naturalem -«
»Und die Franzosen sind hellauf empört.«
»Ihr habt gesagt, Roger, Ihr würdet Euren Einfluss als Präsident dem meinen als Sekretär der Royal Society hinzufügen.«
»Das werde ich auch.«
»Aber damit schmeichelt Ihr mir. Manche Menschen sind tatsächlich austauschbar. Diese beiden Chirurgen ließen sich durch zwei beliebige andere ersetzen, und der König würde trotzdem heute Abend sterben. Aber könnte ich – könnte irgendwer - so ohne weiteres in Eure Fußstapfen treten, Roger?«
»Wahrhaftig, Daniel, ich glaube, Ihr habt soeben zum ersten Mal in Eurem Leben so etwas wie Respekt vor mir bekundet!«
»Ihr seid ein fähiger Kopf, Roger.«
»Ich bin gerührt und stimme natürlich vollkommen mit der Aussage überein, die Ihr treffen wolltet – wie immer zum Teufel sie nun gelautet haben mag.«
»Gut – es freut mich zu hören, dass Ihr mir darin beipflichtet, dass James kein Ersatz für Charles ist.«
Ehe Roger sich erholen konnte – doch nachdem er seinen Zorn bemeistert hatte -, befand sich das Boot in Hörweite, was dem Gespräch ein Ende setzte.
»Lang lebe der König, Mylord und Doktor Waterhouse«, sagte ein gewisser Dr. Hammond, als er über das Dollbord des Bootes auf die Privy Stairs kletterte. Dann mussten sie es alle sagen.
Nach Hammond kam Dr. Griffin, der sie ebenfalls mit »Lang lebe der König!« begrüßte, was bedeutete, dass sie es alle noch einmal sagen mussten.
Daniel hatte es wohl mit einem spürbaren Mangel an Begeisterung gesagt, denn Dr. Hammond bedachte ihn mit einem scharfen Blick – und wandte sich dann Dr. Griffin zu, als wäre er auf einen Augenzeugen aus. »Es ist sehr gut, dass Ihr rechtzeitig gekommen seid, Mylord«, sagte Hammond zu Roger Comstock, »denn angesichts von Jesuiten auf der einen und Puritanern auf der anderen Seite« (an dieser Stelle sprühten seine Pupillen in langen Strahlen glühendes Vitriol auf Daniel) »würde mancher wohl sagen, der König sei nun lange genug schlecht beraten worden.«
Nun neigte Roger dazu, sich erst nach längerem Schweigen zu äußern. Als clownesker Stipendiat am Trinity hatte er eben deshalb keinen sonderlich intelligenten Eindruck gemacht. Doch nun, da er Marquis und Präsident der Royal Society war, ließ es
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