Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
Mann, der die Ruderpinne bediente und mit den Leinen hantierte. Einige der Fischkäufer machten sich die Mühe, ihre Hüte zu ziehen und sich zu verneigen. Eliza stieg auf ihr Pferd und ritt hinterher.
    Der Blick landeinwärts war durch Dünen versperrt. Nicht solche Dünen, wie Eliza sie einst in der Sahara gesehen hatte, sondern Kreuzungen aus Dünen und Hecken. Diese hier waren nämlich bedeckt und festgehalten von Vegetation, die unten an den Hängen hellgrün war, an anderen Stellen jedoch in einen dunkleren, bläulichen Ton überging und zu großen pelzigen dunklen Augenbrauen wurde, die sich im Angesicht des Meeres finster zusammenzogen.
    Ungefähr eine Meile nördlich von dort, wo das Fischerboot auf Sand gelaufen war, wurde die Sicht von der Stadt aus durch eine allmähliche Krümmung der Küstenlinie und einen niedrigen, durch eine Düne ins Meer vorgeschobenen Küstenausläufer abgeschnitten. Von hier aus war der einzige Anhaltspunkt dafür, dass Holland ein besiedeltes Land war, ein hoher Wachturm mit einem kegelförmigen Dach, vielleicht eine halbe Meile entfernt oben auf eine Düne gebaut. Der Sandsegler war zum Stehen gekommen, seine Schoten gelockert, sodass das Segel sich wie eine Wetterfahne drehte.
    »Jetzt soll ich wahrscheinlich fragen: ›Wo ist Euer Hofstaat, o Prinz, Euer Gefolge, Eure Leibwächter, Euer Tross von Malern, Dichtern und Historikern?‹ Worauf Ihr mir eine kräftige Standpauke über die Dekadenz von Frankreich halten würdet.«
    »Schon möglich«, erwiderte Wilhelm, Prinz von Oranien und Statthalter der Holländischen Republik. Er hatte sich aus dem sackleinenen Sitz des Seglers herausgewunden und stand jetzt dem Meer zugewandt am Strand, unter Schichten von sandbespritztem Leder und gischtgetränkter Wolle, die ihm mehr Körperfülle verliehen, als er tatsächlich besaß. »Vielleicht gehe ich ja auch einfach gern allein sandsegeln und die Tatsache, dass Ihr so viel hineindeutet, beweist, dass Ihr zu lange in Versailles gewesen seid.«
    »Warum ist diese Düne hier, frage ich mich?«
    »Keine Ahnung. Morgen ist sie vielleicht nicht mehr da. Warum erwähnt Ihr sie?«
    »Ich schaue mir alle diese Wellen an, die sich so große Mühe geben und so wenig zustande bringen, und wundere mich, dass sie von Zeit zu Zeit etwas so Reizvolles wie eine Düne errichten können. Ja, dieser Sandhügel kommt Versailles gleich – ein Wunder an Genialität. Wellen vom Indischen Ozean, die Wellen aus dem arabischen Meer vor der Malabarküste treffen, tratschen bestimmt über diese Düne und erkundigen sich nach den neuesten Neuigkeiten von Scheveningen.«
    »Es ist normal, dass Frauen zu bestimmten Zeiten im Monat und in gewissen Jahreszeiten in Stimmungen wie dieser versinken«, sinnierte der Prinz.
    »Gut geraten, aber falsch«, sagte Eliza. »Ihr müsst wissen, dass es in der Barbarei christliche Sklavinnen gibt, die große Anstrengungen unternehmen, um kleine Ziele zu erreichen, wie etwa ein neues Möbelstück für ihr banyolar zu bekommen …«
    »Banyolar?«
    »Sklavenquartiere.«
    »Welch rührselige Geschichte.«
    »Ja, aber für sie ist es in Ordnung, magere Ergebnisse zu erzielen, weil sie sich in einer vollkommen hoffnungslosen und verzweifelten Situation befinden«, sagte Eliza. »In gewisser Weise kann eine Sklavin sich glücklich schätzen, denn sie hat mehr lichte Höhe für ihre Träume und Phantasien, die sich in schwindelnde Dimensionen emporschwingen können, ohne an die Decke zu stoßen. Diejenigen dagegen, die in Versailles leben, sind so weit oben, wie Menschen nur kommen können, und müssen praktisch vornübergebeugt umherlaufen, weil sonst ihre Perücken und Frisuren am Himmelsgewölbe kratzen – das ihnen infolgedessen niedrig und gemein erscheint. Wenn sie den Blick heben, sehen sie nicht einen weiten einladenden Raum über sich, sondern -«
    »Die grellbunt bemalte Decke.«
    »Genau. Seht Ihr? Es gibt keine lichte Höhe. Und so ist es für jemanden, der gerade aus Versailles gekommen ist, nicht schwer, diese Wellen anzuschauen, die so wenig vollbringen, und zu denken, dass wir unabhängig von den Anstrengungen, die wir im Leben unternehmen, letztlich nur die Sandkörner an einem Strand neu ordnen, der sich im Kern nie verändert.«
    »Stimmt. Und wenn wir wirklich genial sind, können wir eine kleine Düne oder einen Hügel aufhäufen, der dann als achtes Weltwunder betrachtet wird.«
    »Ganz genau!«
    »Das ist sehr poetisch, mein Fräulein, wenn auch auf eine

Weitere Kostenlose Bücher