Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
einzigen geometrischen Punkt in seiner Mitte konzentriert wäre.«
    »Die gleiche? Du meinst, genau die gleiche?«
    »Es ist ein geometrischer Beweis«, sagte Isaac lediglich. »Dass die Teilchen kugelförmig angeordnet sind, macht keinen Unterschied, denn die Geometrie der Kugel ist, wie sie ist. Die Gravitation ist die gleiche.«
    Nun musste Daniel einen Stuhl ausfindig machen; sämtliches Blut in seinen Beinen schien ihm ins Gehirn zu strömen.
    »Wenn das stimmt«, sagte er, »dann gilt alles, was du zuvor für punktförmige Objekte bewiesen hast – dass sie sich beispielsweise auf Flugbahnen bewegen, die Kegelschnitte sind -«
    »- ganz genauso für sphärische Körper.«
    »Für wirkliche Dinge.« In diesem Augenblick hatte Daniel eine sonderbare Vision von einem eingestürzten Tempel, der sich selbst wieder aufbaute: Umgefallene Säulen erhoben sich aus den Trümmern, die Trümmer fügten sich wieder zu Cherubim und Seraphim zusammen, auf dem Hauptaltar flammte ein Feuer auf. »Also hast du es fertig gebracht … das Weltsystem geschaffen.«
    » Gott hat es geschaffen. Ich habe es lediglich gefunden. Wiederentdeckt, was vergessen war. Sieh dir dieses Diagramm an, Daniel. Es ist alles da, es ist die sichtbar gemachte Wahrheit, epiphanes.«
    » Vorhin hast du gesagt, du suchst nach Gott, wo die Geometrie scheitert.«
    »Natürlich. Das hier lässt keinen Raum für Entscheidungen«, sagte Isaac und klopfte mit trockener Hand auf sein Diagramm. »Nicht einmal Gott hätte die Welt anders erschaffen können. Der einzige Gott hier -«, Isaac schlug kräftig auf das Blatt, »- ist der Gott Spinozas, ein Gott, der alles und daher nichts ist.«
    »Aber es scheint doch, als hättest du alles erklärt.«
    »Ich habe das Gesetz des inversen Quadrats nicht erklärt.«
    »Aber hier hast du doch einen Beweis, der besagt, dass Satelliten sich auf Kegelschnitten bewegen, wenn die Schwerkraft sich gemäß dem Gesetz des inversen Quadrats verhält.«
    »Und Flamsteed bestätigt das«, sagte Isaac und zerrte Daniel das Bündel Papiere aus der Tasche. Er ignorierte das Begleitschreiben, riss das Band von dem Bündel ab und begann die Seiten zu überfliegen. »Deshalb verhält sich die Schwerkraft in der Tat gemäß dem Gesetz des inversen Quadrats. Aber das können wir nur sagen, weil es mit Flamsteeds Beobachtungen übereinstimmt. Wenn Flamsteed heute Nacht einen Kometen beobachtet, der sich in einer Spirale bewegt, zeigt das, dass meine gesamte Arbeit falsch ist.«
    »Du sagst also, wozu brauchen wir Flamsteed überhaupt?«
    »Ich sage, dass die Tatsache, dass wir ihn brauchen, beweist, dass Gott Entscheidungen trifft.«
    »Oder getroffen hat.«
    Das ließ einen Ausdruck von angewidertem Hohn in Isaacs Gesicht treten. Er schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, dass Gott die Welt erschaffen und sie dann sich selbst überlassen habe, dass Er keine Entscheidungen mehr zu treffen habe und nicht mehr ständig in der Welt gegenwärtig sei. Ich glaube, dass Er überall ist und ständig Entscheidungen trifft.«
    »Aber nur, weil es bestimmte Dinge gibt, die du noch nicht mit geometrischen Beweisen erklärt hast.«
    »Wie ich dir schon gesagt habe, ich suche Gott, wo die Geometrie scheitert.«
    »Aber vielleicht gibt es ja einen noch unentdeckten Beweis für das Gesetz des inversen Quadrats. Vielleicht hat es etwas mit Wirbeln im Äther zu tun.«
    »Aus Wirbeln ist noch niemand schlau geworden.«
    »Dann vielleicht irgendeine Interaktion mikroskopisch kleiner Teilchen?«
    »Teilchen, die die Strecke zwischen Sonne und Saturn und zurück mit unendlicher Geschwindigkeit zurücklegen, ohne vom Äther behindert zu werden?«
    »Du hast Recht, das ist unmöglich ernst zu nehmen. Wie lautet denn deine Hypothese, Isaac?«
    » Hypothesis non fingo.«
    » Aber das stimmt doch gar nicht. Du gehst von einer Hypothese aus – ich habe mehrere davon draußen in den Kies geritzt gesehen. Dann kommst du auf eines dieser Diagramme. Wie du das machst, kann ich nicht erklären, es sei denn, Gott benutzt dich als Sprachrohr. Und wenn du damit fertig bist, ist es keine Hypothese mehr, sondern eine bewiesene Wahrheit.«
    »Die Geometrie kann niemals die Schwerkraft erklären.«
    »Dann also der Kalkül?«
    »Der Kalkül ist nur ein bequemes Werkzeug, eine stenografische Methode, Geometrie zu treiben.«
    »Was über die Geometrie hinausgeht, geht also auch über den Kalkül hinaus.«
    »So ist es, per definitionem

Weitere Kostenlose Bücher