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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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»Bei Menschen würde ich es so formulieren: Es ist schwer zu sagen, wann sie richtig gehen, aber leicht zu sehen, wenn etwas schief läuft.«
    »Offenbar habt Ihr jemandem im Kopf, Monsieur Huygens«, sagte Eliza, »und ich fürchte, das bin ich.«
    »Ihr wurdet mir von Leibniz empfohlen«, antwortete Huygens. »Jemanden, der die intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen hervorragend einschätzen kann. Den Charakter vielleicht etwas weniger gut, denn er nimmt von jedem immer nur das Beste an. Ich habe mich rund um Den Haag ein wenig umgehört. Von Leuten höchsten Ranges wurde mir versichert, Ihr wärt kein politisches Risiko. Daraus habe ich geschlossen, das Ihr Euch zu benehmen wüsstet.«
    Eliza, die sich plötzlich sehr bedeutend und exponiert fühlte, trat einen Schritt zurück und hielt sich, um nicht ins Schwanken zu geraten, mit einer Hand an einem schweren dreifüßigen Teleskopständer fest. »Es tut mir Leid«, sagte sie. »Es war dumm, was ich da unten gemacht habe. Ich weiß es, denn ich weiß tatsächlich, wie ich mich zu benehmen habe. Allerdings war ich nicht immer eine Hofdame. An diesen Punkt in meinem Leben bin ich auf einem Umweg gelangt, der mich in einer Weise geformt hat, die nicht immer schicklich war. Vielleicht sollte ich mich schämen. Ich neige aber mehr zum Trotz.«
    »Ich verstehe Euch besser, als Ihr glaubt«, sagte Huygens. »Ich wurde für die Diplomatenlaufbahn erzogen und ausgebildet. Doch als ich dreizehn Jahre alt war, baute ich mir eine Drehbank.«
    »Verzeihung, eine was?«
    »Eine Drehbank. Unten, hier in diesem Haus. Stellt Euch die Verwunderung meiner Eltern vor! Sie hatten mir Latein, Griechisch, Französisch und andere Sprachen beigebracht. Sie hatten mich das Spiel auf Laute, Viola und Spinett gelehrt. Aus Literatur und Geschichte lernte ich alles, was sie mir beizubringen vermochten. Mathematik und Philosophie lernte ich von Descartes persönlich. Und dann baute ich mir eine Drehbank! Später brachte ich mir selbst bei, wie man Linsen schleift. Meine Eltern fürchteten schon, sie hätten einen Handwerker hervorgebracht.«
    »Niemand freut sich mehr als ich darüber, dass die Dinge sich für Euch so gut entwickelt haben«, sagte Eliza, »aber ich bin zu beschränkt, um zu verstehen, was Eure Geschichte mit meinem Fall zu tun hat.«
    »Es ist nicht schlimm, wenn eine Uhr zuweilen vor oder nach geht, solange sie in Bezug auf die Sonne geeicht und gestellt wird.Vielleicht kommt die Sonne nur einmal in vierzehn Tagen heraus. Das reicht aber schon. Ein paar Minuten Licht gegen Mittag ist alles, was man braucht, um den Irrtum zu entdecken und die Uhr zu stellen – vorausgesetzt man macht sich die Mühe hinaufzusteigen und es überhaupt festzustellen. Meine Eltern wussten das irgendwie und machten sich keine allzu großen Sorgen über meine seltsamen Schwärmereien. Sie vertrauten darauf, dass sie mich gelehrt hätten zu erkennen, wann ich in die Irre ging, und mein Verhalten zu eichen.«
    »Jetzt verstehe ich, glaube ich«, sagte Eliza. »Jetzt muss das Prinzip vermutlich nur noch auf mich angewendet werden.«
    »Wenn ich morgens herunterkomme und Euch mit einem fremden Deserteur beim Kopulieren auf meinem Tisch antreffe, als wärt ihr eine Art Landstreicherin«, sagte Huygens, »bin ich verärgert. Das gebe ich zu. Es ist aber nicht so wichtig wie das, was Ihr als Nächstes tut. Wenn Ihr eine Trotzhaltung einnehmt, verrät mir das, dass Ihr die Fähigkeit zu erkennen, wann Ihr in die Irre geht, und Euch zu korrigieren, nicht erlernt habt. Und in diesem Fall müsst Ihr mein Haus verlassen, denn solche Leute geraten immer mehr auf Abwege, bis hin zur Vernichtung. Ergreift Ihr jedoch die Gelegenheit, darüber nachzudenken, wo Ihr vom Weg abgekommen seid, und Euren Kurs zu korrigieren, sagt mir das, dass Ihr es am Ende ganz gut machen werdet.«
    »Das ist ein guter Rat, und dafür danke ich Euch«, sagte Eliza. »Im Prinzip. In Wirklichkeit dagegen weiß ich nicht, was ich mit diesem Bob machen soll.«
    »Es gibt etwas, das Ihr mit ihm regeln müsst, jedenfalls scheint mir das so«, sagte Huygens.
    »Es gibt etwas, das ich mit der Welt regeln muss.«
    »Dann tut es, unbedingt. Dann könnt Ihr herzlich gerne bleiben. Aber bitte geht von jetzt an in Euer Schlafzimmer, wenn Ihr jemanden vögeln wollt.«

Die Börse [Zwischen Threadneedle und Cornhill]
    SEPTEMBER 1686
Mancher schreibt Dialoge unverzagt
Und wird von keinem dafür angeklagt.
Wer freilich Wahrheit zu verdrehn

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