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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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mit dem Dolch zur Seite und setzte sich mit einem heftigen Ruck auf, womit er sie zu einem Purzelbaum rückwärts zwang. Sie wäre auf dem Kopf gelandet, hätte er sie nicht an den Oberarmen gepackt und herumgewirbelt – oder sonst irgendetwas ziemlich Kompliziertes und Gefährliches gemacht; sie wusste nur, dass sie, als es vorbei war, benommen war und ihr Herz für ein paar Schläge ausgesetzt hatte, dass ihr die Haare ins Gesicht hingen und ihre Dolchhand leer war. Bob stand hinter ihr und benutzte sie als Schirm, während er mit einer Hand seine Hose hochzog. Mit der anderen Hand hielt er die Schnüre ihres Korsetts fest, die er als eine Art Zügel benutzte. »Ihr hättet Euren Arm nicht strecken dürfen«, erklärte er ruhig, »das verrät dem Gegner, dass Ihr unfähig seid, einen Stoß zu führen.«
    Eliza dankte ihm für die Fechtlektion, indem sie in eine vorher berechnete Richtung eine Pirouette drehte, um ihm die Finger nach hinten zu biegen. Er fluchte, ließ ihre Korsettschnüre los und zog sich die Hose vollends hoch.
    »Mr. Huygens, Bob Shaftoe von den King’s Own Black Torrent Guards. Bob, ich darf Euch Christiaan Huygens vorstellen, den herausragendsten Naturphilosophen der Welt.«
    »Für diese Aussage würde Hooke Euch beißen … Leibniz ist klüger als ich … Newton ist zwar wirr , soll aber begabt sein. Lasst uns deshalb einfach sagen, dass ich der herausragendste Naturphilosoph in diesem Raum bin«, schlug Huygens vor, während er rasch eine Zählung der Anwesenden vornahm: er selbst, Bob, Eliza und ein Skelett, das in der Ecke hing.
    Bob hatte das Skelett bis dahin nicht bemerkt und seine plötzliche Einbeziehung in die Unterhaltung machte ihn nervös. »Ich bitte um Verzeihung, Sir, es war schändlich -«
    »Seid still!«, zischte Eliza, »er ist Philosoph, das stört ihn nicht.«
    »Descartes pflegte als junger Mann hierher zu kommen; er saß dann genau an diesem Tisch, betrank sich und dozierte über das Körper-Geist-Problem«, sagte Huygens nachdenklich.
    »Problem? Was für ein Problem? Ich sehe kein Problem«, murmelte Bob beiläufig, bis Eliza sich rückwärts an ihn drängte und einen Absatz auf seinen Spann setzte.
    »Es hätte also keinen geeigneteren Ort für Elizas Versuch geben können, Eure geistigen Prozesse zu klären, indem sie Euch von Körpersäften befreite, die Euer Gleichgewicht stören«, fuhr Huygens fort.
    »Wo wir gerade von Körpersäften sprechen, was soll ich hiermit machen?«, murmelte Bob, während er einen länglichen, gut gefüllten Beutel an seinem Finger baumeln ließ.
    »Steckt es in eine Schachtel und schickt es Upnor als Anzahlung«, sagte Eliza.
    Während sie sprachen, war die Sonne durchgebrochen, und goldenes Licht schien plötzlich vom Plein in den Raum. Es war ein Anblick, der das Herz von so gut wie jedem Holländer erfreut hätte; nur Huygens reagierte seltsam darauf, als hätte er ihm irgendeine lästige Verpflichtung in Erinnerung gerufen. Er führte eine Befragung seiner Wand- und Taschenuhren durch. »Ich habe eine Viertelstunde Zeit, um zu frühstücken«, bemerkte er, »und dann haben Eliza und ich Arbeit auf dem Dach zu erledigen. Ihr könnt gerne bleiben, Sergeant Shaftoe, obgleich …«
    »Ihr wart bereits überaus gastfreundlich«, sagte Bob.
     
    Huygens Arbeit bestand darin, ganz ruhig auf seinem Dach zu stehen, wenn die Kirchtürme von Den Haag Mittag schlugen, und mit zusammengekniffenen Augen in ein Instrument zu schauen. Eliza wurde geheißen, ihm nicht im Weg zu stehen, Notizen in eine Kladde zu schreiben und ihm auf Wunsch immer wieder bestimmte Dinge zu reichen.
    »Ihr wolltet wissen, wo die Sonne mittags steht -?«
    »Ihr drückt es genau umgekehrt aus. Mittag ist, wenn die Sonne an einer bestimmten Stelle steht. Darüber hinaus hat Mittag keine Bedeutung.«
    »Ihr wollt also wissen, wann Mittag ist?«
    »Es ist jetzt!«, sagte Huygens und warf rasch einen Blick auf seine Taschenuhr.
    »Dann gehen alle Uhren von Den Haag falsch.«
    »Ja, einschließlich meiner. Selbst eine gut gemachte Uhr verschiebt sich und muss von Zeit zu Zeit gestellt werden. Ich mache das hier immer, wenn die Sonne scheint. Flamsteed wird es in wenigen Minuten auf dem Gipfel eines Hügels in Greenwich tun.«
    »Schade, dass ein Mensch nicht so leicht geeicht werden kann«, sagte Eliza.
    Huygens schaute sie an, genauso konzentriert, wie er kurz zuvor in sein Instrument geschaut hatte. »Ihr habt offenbar einen bestimmten Menschen im Kopf«, sagte er.

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