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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Geheimschrift verzichten.
Ihr werdet Euch fragen, warum Madame mir jetzt solche Gefälligkeiten erweist, wo sie mich doch bisher als Mäusedreck im Pfeffer angesehen hat.
Wie es scheint, ließ der König von Frankreich kürzlich, als er morgens aufstand, den Adligen gegenüber, die seinem Aufsteh-Ritual beiwohnten, die Bemerkung fallen, er habe gehört, dass die »Frau aus Qwghlm« insgeheim von edlem Geblüt sei.
Selbst mir war das ein Geheimnis, bis ich etwa eine Stunde später jemanden nach »Mademoiselle la Comtesse de la Zeur« rufen hörte, was (wie ich allmählich herausfand) ihr Versuch ist, Sghr auszusprechen. Wie Ihr vielleicht wisst, ist meine Heimatinsel eine berühmte Gefahrenstelle für die Schifffahrt, von den verängstigten Seefahrern an den drei Felstürmen zu erkennen, die wir mit diesem Namen bezeichnen. Offensichtlich erinnerte sich irgendein Höfling, der einmal so leichtsinnig war, sich Qwghlm mit dem Schiff bis auf Sichtweite zu nähern, an dieses Detail und braute daraus einen Titel für mich. Den hiesigen Hofdamen, vor allem denen aus alten Familien, kommt er irgendwie wild vor. Zum Glück gibt es hier viele ausländische Prinzessinnen, die nicht so hohe Maßstäbe anlegen, und sie haben bereits Lakaien hergeschickt, um mich auf Feste einzuladen.
Natürlich können Könige Gemeine adeln, wann immer sie wollen, und deshalb ist mir nicht klar, warum jemand sich die Mühe gemacht hat, mich als Angehörige des Erbadels hinzustellen. Einen Hinweis gibt es allerdings: Pater Édouard de Gex hat mir Fragen über die qwghlmianische Kirche gestellt, die genau genommen nicht protestantisch ist, da sie gegründet wurde, bevor die römisch-katholische Kirche sich etablierte (oder zumindest bevor irgendjemand die Qwghlmianer überhaupt bemerkte). Der Pater spricht davon, dass er Qwghlm besuchen will, um Beweise dafür zu finden, dass unser Glaube sich wirklich nicht von seinem unterscheidet und dass die beiden miteinander vereint werden sollten.
Mittlerweile höre ich immer wieder Sympathiebekundungen von verschiedenen französischen Adligen, die angesichts der grausamen Besetzung meines Heimatlandes durch England missbilligende Laute von sich gaben. Im Grunde wäre allerdings jeder Qwghlmianer froh, wenn Engländer tatsächlich kämen und unsere Insel besetzten, denn sie brächten wahrscheinlich etwas zu essen und warme Kleidung mit. Ich vermute, Ludwig weiß, dass er schon bald einen Todfeind auf dem englischen Thron sitzen sehen könnte und bereitet sich darauf vor, diesen Feind von der Flanke her anzugreifen, indem er Beziehungen zu Gebieten wie Irland, Schottland und diesem felsigen Fliegendreck, auf dem ich geboren bin, unterhält. Qwghlm hat schon seit Jahrhunderten keine Angehörigen des Erbadels mehr (vor neunhundert Jahren trieben die Schotten sie alle zusammen und sperrten sie mit ein paar Bären in ein Verlies), aber jetzt wurde beschlossen, dass ich eine bin. Mutter wäre so stolz gewesen!
Wie aus dem Datum auf Eurem letzten Brief zu ersehen ist, habt Ihr ihn um Weihnachten herum während eines Besuchs bei Sophies Tochter am Hof von Brandenburg geschrieben. Bitte sagt mir, wie es in Berlin ist! Ich weiß, dass viele Hugenotten dort gelandet sind. Es ist schon merkwürdig, wenn man sich überlegt, dass erst vor wenigen Jahren Sophie und Ernst August Ludwig XIV. die Hand ihrer Tochter antrugen. Stattdessen ist Sophie Charlotte jetzt Kurfürstin von Brandenburg und hat dort (wenn man den Gerüchten vertrauen darf) den Vorsitz bei einem Salon von Glaubensabweichlern und Freidenkern in Berlin. Wäre die andere Ehe zustande gekommen, trüge sie jetzt ein gewisses Maß an Verantwortung für den Tod oder die Versklavung genau derselben Männer. Ich bin sicher, dass sie dort, wo sie ist, glücklicher ist.
Es heißt, Sophie Charlotte nehme mit sehr viel Gelassenheit und Selbstbewusstsein an den Diskussionen dieser Gelehrten teil. Das hat bestimmt damit zu tun, dass sie in Eurer Gesellschaft aufwuchs, Doktor, und den Gesprächen lauschte, die Ihr mit ihrer Mutter führtet. Nun da ich als Gräfin gelte und für tauglich erachtet werde, mit Madame zu plaudern, habe ich sie gebeten, mir zu erzählen, worüber Ihr und Sophie in Hannover sprecht. Aber sie hat nur mit den Augen gerollt und behauptet, gelehrte Gespräche seien für sie sinnlos. Ich glaube, sie hat zu viel Zeit in Gesellschaft selbst ernannter Alchimisten verbracht und meint nun, alle derartigen Gespräche seien Blödsinn.

Sternkammer,

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