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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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und er starrte fast senkrecht zur Decke hinauf. Sein erster Gedanke war, dass man dort oben irgendwie Kerzen angebracht hatte oder dass gelangweilte Soldaten aufs Geratewohl brennende Pfeile in die Decke geschossen hatten, doch dann sah er genauer hin und stellte fest, dass die Decke mit gemalten Sternen verziert war, die im Kerzenlicht von unten schimmerten. Da wusste er, wo er sich befand.
    »Die Sternkammer tagt – unter dem Vorsitz von Lordkanzler Jeffreys«, sagte eine weitere kultivierte Stimme, die von irgendwelchen erhabenen Gefühlen belegt klang. Und was musste das für ein Mensch sein, der bei so etwas von Rührung übermannt wurde?
    Nun erwachte, so wie Daniels Sinne sich einer nach dem anderen erholt hatten, nach und nach auch sein Verstand. Derjenige Teil, in dem alte Fakten gespeichert waren, kam im Moment viel besser zurecht als derjenige, der kluge Dinge tat. »Unsinn... die Sternkammer wurde 1641 vom Langen Parlament abgeschafft... fünf Jahre vor meiner und auch Eurer Geburt, Jeffreys.«
    »Ich erkenne die eigennützigen Verfügungen dieses aufrührerischen Parlaments nicht an«, sagte Jeffreys geziert. »Die Sternkammer ist eine alte Einrichtung – Heinrich VII. hat dieses Gericht berufen, aber seine Verfahrensweisen haben ihre Wurzeln in der römischen Jurisprudenz – folglich war es ein Muster an Klarheit und Effizienz, anders als die altersschwache Missgeburt des Common Law, jenes hinfällige, von Spinnweben überzogene Monstrum, jenes senile Kompendium aus Volkstum und Ammenmärchen, ein krustiges Sieb, das alle festen Bröckchen aus dem vergänglichen Fluss der Gesellschaft aussiebt und sie zu juristischer Schweinskopfsülze verdichtet.«
    »Hört, hört!«, sagte einer der anderen Richter, der offenbar der Meinung war, dass Jeffreys damit alles abgehandelt hatte, was zum Thema Common Law zu sagen war. Daniel nahm an, dass sie alle zumindest Richter und von Jeffreys handverlesen waren. Oder vielmehr, dass sie im Laufe seiner Karriere von ihm angezogen worden waren, dass sie die Leute waren, die er jedes Mal sah, wenn er sich die Mühe machte, sich umzublicken.
    Ein anderer von ihnen sagte: »Der frühere Erzbischof Laud hat in dieser Kammer eine praktische Einrichtung gesehen, um Dissidenten der Low Church wie Euren Vater, Drake Waterhouse, mundtot zu machen.«
    »Aber die Pointe der Geschichte meines Vaters ist ja gerade, dass er sich nicht hat mundtot machen lassen - die Sternkammer hat ihm Nase und Ohren abschneiden lassen, und es hat ihn nur zu einer noch eindrucksvolleren Gestalt gemacht.«
    »Drake war ein Mann von außergewöhnlicher Kraft und Unverwüstlichkeit«, sagte Jeffreys. »In meiner Kindheit hat er mich bis in meine Alpträume verfolgt. Mein Vater hat mir Geschichten von ihm erzählt, als wäre er der schwarze Mann. Ich weiß, dass Ihr nicht Drake seid. Vor einigen zwanzig Jahren seid Ihr dabeigestanden und habt zugesehen, wie vor Eurem Fenster am Trinity einer Eurer Glaubensbrüder von Lord Upnor ermordet wurde, und Ihr habt nichts getan – nichts! Ich erinnere mich noch gut, und ich weiß, dass Ihr das auch tut, Waterhouse.«
    »Hat diese Farce auch noch einen anderen Zweck als den, sich in Reminiszenzen über die Collegezeit zu ergehen?«, erkundigte sich Daniel.
    »Verabreicht ihm eine Revolution«, sagte Jeffreys.
    Der Bursche, der Daniel vor kurzem Wasser in den Mund geschüttet hatte – eine Art bewaffneter Büttel -, trat vor, packte eine der vier Eisenstangen, die von Daniels Halsband abstanden, und riss sie herum. Der ganze Apparat drehte sich, wobei ihm Daniels Hals als Achse diente, bis dieser die Arme heben und ihn anhalten konnte. Ein schlichteres Gemüt hätte – aufgrund der damit verbundenen ungeheuren Schmerzen – vermutet, dass es ihm den Kopf halb abgesägt hatte. Aber Daniel hatte genügend Hälse seziert, um zu wissen, wo sich alle wichtigen Teile befanden. Er führte rasch ein paar Experimente durch und kam, da er schlucken, atmen und mit den Zehen wackeln konnte, zu dem Schluss, dass keines der Hauptkabel durchtrennt worden war.
    »Ihr seid angeklagt, die englische Sprache pervertiert zu haben«, verkündete Jeffreys. » Item : dass Ihr bei vielen Gelegenheiten, bei müßigen Gesprächen in Kaffeehäusern und in privater Korrespondenz, das Wort ›Revolution‹, ein bislang vollkommen unschuldiges und nützliches englisches Wort, in einem ganz neuen, von euch erdachten und verbreiteten Sinne, nämlich in der Bedeutung eines radikalen und

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