Quicksilver
nachging.
Meine erste Aufgabe bestand, wie bereits angedeutet, darin, mich mit all dem vertraut zu machen, was d’Avaux im Verlauf der vergangenen Wochen in dieser Sache erfahren hatte. Das Hofgebied oder diplomatische Viertel von Den Haag verfügt vielleicht nicht über so viele Diener und Höflinge wie sein Gegenstück in Frankreich, aber es gibt doch mehr als genug davon; die Bestechlichen unter ihnen hat d’Avaux gekauft und die Geschlechtskranken auf die eine oder andere Weise kompromittiert, sodass er praktisch alles erfahren kann, was er über die Vorgänge in diesem Viertel wissen möchte, vorausgesetzt, er ist emsig genug, seine Quellen zu befragen, und gewitzt genug, ihre bruchstückhaften Berichte zu einer in sich schlüssigen Geschichte zusammenzufügen. Eure Majestät werden nicht im Mindesten überrascht sein zu hören, dass er das zum Zeitpunkt meiner Ankunft bereits getan hatte. D’Avaux teilte mir Folgendes mit:
Erstens war die Gräfin de la Zeur im Gegensatz zu allen anderen Flüchtlingen auf dem Kanalschiff nicht schon von Heidelberg aus mitgefahren. Sie war erst in Nijmegen eingestiegen, schmutzig und erschöpft und begleitet von zwei jungen, ebenso abgerissenen Herren, deren Akzent ihre Herkunft aus dem Rheinland verriet.
Das allein sagte mir bereits einiges. Schon vorher war klar gewesen, dass Madame an diesem Augusttag in St-Cloud dafür gesorgt hatte, dass die Gräfin auf einem Schiff auf der Seine verschwand. Auf seinem Weg flussaufwärts über Paris konnte ein solches Schiff bei Charenton die linke Abzweigung nehmen und die Marne hinauf tief in die nordöstlichen Ausläufer Eures Reiches gelangen, von wo aus man über Land in wenigen Tagen in Madames Heimat reisen kann. Sinn dieses Briefes ist es nicht, die Loyalität Eurer Schwägerin in Zweifel zu ziehen; ich habe den Verdacht, dass die für ihre Gerissenheit bekannte Gräfin de la Zeur Madames natürliche und menschliche Sorge um ihre Untertanen jenseits des Rheins ausgenutzt und sie irgendwie davon überzeugt hat, dass es vorteilhaft wäre, die Gräfin auf eine Besichtigungsreise in diesen Teil der Welt zu schicken. Natürlich würde das die Gräfin in genau den Teil von Frankreich schicken, wo die Kriegsvorbereitungen für eine ausländische Spionin am besten sichtbar waren.
Eure Majestät haben im Verlaufe ihrer unzähligen ruhmreichen Feldzüge viele Stunden damit verbracht, Landkarten zu studieren und sämtliche Fragen der Logistik zu erörtern, von der großen Strategie bis hinunter zum kleinsten Detail, und werden sich erinnern, dass es von der Marne zu keinem einzigen der Flüsse, die in die Niederlande fließen, eine direkte Verbindung zu Wasser gibt. Allerdings liegt im Argonner Wald das Quellgebiet nicht nur der Marne, sondern auch der Meuse, die tatsächlich in einer Entfernung von nur wenigen Meilen an Nijmegen vorbeifließt. Und so ging ich, wie zuvor schon d’Avaux, von der Arbeitshypothese aus, dass die Gräfin, nachdem sie von St-Cloud aus ein Boot die Marne hinauf genommen hatte, nicht weit von den Argonnen – die, wie Eure Majestät wissen, in den letzten Wochen ein Schauplatz militärischer Operationen waren – ausstieg und eine Art Überlandreise unternahm, die sie schließlich zur Meuse brachte und über die Meuse nach Nijmegen, wo wir von d’Avauxs Informanten zum ersten Mal etwas über sie erfuhren.
Zweitens sagen alle, die sie auf der Nijmegen-Den-Haag-Route gesehen haben, übereinstimmend, dass sie praktisch nichts bei sich hatte. Sie hatte kein Gepäck. Ihre persönliche Habe war einfach in der Satteltasche eines ihrer deutschen Gefährten verstaut. Alles war durchgeweicht, denn in den Tagen vor ihrem Auftauchen in Nijmegen war es regnerisch gewesen.Während der Reise auf dem Kanalschiff leerten sie und die beiden Deutschen die Satteltaschen und breiteten ihren Inhalt zum Trocknen auf Deck aus. Zu keinem Zeitpunkt wurden Bücher, Papiere oder Dokumente irgendwelcher Art beobachtet, auch keine Federkiele oder Tintenfässer. In der Hand trug sie einen kleinen Beutel und einen Stickrahmen, in den eine Wollstickereiarbeit eingespannt war. Sonst nichts. Das alles wurde von d’Avauxs Informanten im Binnenhof bestätigt. Die Diener, die die Suite der Gräfin dort herrichteten, behaupten mit Nachdruck, von dem Kanalschiff sei nichts anderes mitgekommen als:
Item: Das Kleid, das die Gräfin am Leib trug. Von einer längeren Reise (so nimmt man an) auf dem Boden einer Satteltasche modrig und knittrig
Weitere Kostenlose Bücher