Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
geworden, wurde es in Lumpen zerrissen, sobald sie es abgestreift hatte. Darunter war nichts verborgen.
    Item: Eine Garnitur Jungenkleidung etwa von der Größe der Gräfin, abgetragen und schmutzig.
    Item: Der Stickrahmen und die Wollstickerei, die durch wiederholtes Nasswerden und Trocknen verdorben war (die Farben des Stickfadens waren im Gewebe verlaufen).
    Item: Ihre Handtasche, die letztlich nur ein Stückchen Seife, einen Kamm, eine Sammlung von Lumpen, Nähzeug und eine fast leere Geldbörse enthielt.
    Von den genannten Posten wurden alle außer den Münzen, dem Nähzeug und der Stickarbeit beseitigt oder vernichtet. An Letzterer schien die Gräfin eigenartig stark zu hängen, denn sie befahl den Dienern, sie nicht anzurühren, auch wenn sie völlig kaputt aussah, und verwahrte sie sogar, während sie schlief, unter ihrem Kopfkissen, aus Angst, sie könnte versehentlich mitgenommen und als Putzlumpen benutzt werden.
    Drittens ging sie, nachdem sie sich einen Tag lang erholt hatte und mit annehmbarer Kleidung versorgt worden war, zur Waldhütte des Prinzen von Oranien, die nicht weit entfernt draußen in der Wildnis steht, und traf sich dort an drei aufeinander folgenden Tagen mit ihm und seinen Beratern. Unmittelbar danach zog der Prinz seine Regimenter aus dem Süden ab und brachte seine Invasion Englands ins Rollen. Es heißt, die Gräfin habe wie durch Zauberei einen umfangreichen Bericht voller Namen, Fakten, Zahlen, Landkarten und anderen, schwer im Gedächtnis zu behaltenden Einzelheiten beigebracht.
     
    So viel zu d’Avauxs Arbeit. Er hatte mir alles gegeben, worum ich als Kryptologe hätte bitten können. Mir blieb nur noch, Ockhams Rasiermesser auf die von d’Avaux gesammelten Fakten anzuwenden. Ich kam zu dem Schluss, dass die Gräfin ihre Notizen nicht mit Tinte auf Papier, sondern mit Nadel und Faden auf einen Stoff gestickt hatte. Die Technik war zwar ungewöhnlich, bot aber gewisse Vorteile. Eine Frau, die ununterbrochen Dinge auf Papier schreibt, macht sich höchst verdächtig, aber eine Frau, die stickt, wird gar nicht beachtet. Wenn jemand als Spion verdächtigt wird, ist Papier das Erste, wonach ein Ermittler sucht. Wollstickerei lässt er links liegen. Und nicht zuletzt halten Tinteauf-Papier-Dokumente sich in feuchter Umgebung schlecht, während man ein Stoffdokument erst Faden um Faden aufziehen muss, bevor seine Information vernichtet ist. Zum Zeitpunkt meiner Ankunft in Den Haag hatte die Gräfin ihre Zimmer im Binnenhof verlassen und war auf die andere Seite der Plein ins Haus des ketzerischen »Philosophen« Christiaan Huygens gezogen, mit dem sie befreundet ist. Am Tag meiner Ankunft reiste sie nach Amsterdam ab, um ihre Geschäftspartner dort zu besuchen. Ich bezahlte einen Fassadenkletterer, der für d’Avaux in der Vergangenheit schon viele solcher Aufgaben übernommen hatte, um in das Haus von Huygens einzudringen, die Stickerei zu finden und mitzubringen, ohne irgendetwas anderes in dem Raum zu verändern. Drei Tage später, nachdem ich eine Untersuchung wie oben beschrieben durchgeführt hatte, sorgte ich dafür, dass derselbe Dieb die Stickarbeit wieder an denselben Platz zurückbrachte, wo er sie gefunden hatte. Die Gräfin kam erst mehrere Tage später von ihrem Aufenthalt in Amsterdam zurück.
    Es ist ein Stück grob gewebtes Leinen, quadratisch, mit einer Seitenlänge von einer flämischen Elle. Am Rand hat sie überall ungefähr eine Handbreit freigelassen. Die Fläche in der Mitte ist somit ein Quadrat von vielleicht achtzehn Zoll Seitenlänge: passend für ein opus pulvinarium oder einen Kissenbezug. Diese Fläche ist fast vollständig mit Wollstickerei ausgefüllt worden. Der Stil wird Gros Point genannt, eine beliebte Technik bei englischen Bauern, Siedlern in Übersee und anderen Provinzlern, die gerne kindliche Motive auf die groben Stoffe sticken, die herzustellen sie in der Lage sind. Da sie in Frankreich durch den Petit Point ersetzt wurde, mag sie Eurer Majestät nicht vertraut sein, und so werde ich mir den Luxus einer kurzen Beschreibung gönnen. Der Stoff bzw. Stickgrund ist immer von grober Webart, so dass Kette und Schuss, die ein regelmäßiges quadratisches Gitter à la Descartes bilden, mit bloßem Auge zu sehen sind. Jedes der winzigen Quadrate in diesem Gitter wird im Verlauf der Arbeit mit einem Stich in Form eines x bedeckt, wodurch ein farbiges Quadrat zustande kommt, das, von weitem betrachtet, zu einem winzigen Element des entstehenden Bildes

Weitere Kostenlose Bücher