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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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aus einem Kanalschiff, das gerade aus Nijmegen gekommen war. Viele der Häretiker, die aus ihm herausquollen, stammten von viel weiter flussaufwärts, denn es sind Menschen aus der Pfalz, die erst vor kurzem in dem Wissen um eine drohende Invasion von dort geflohen sind, so wie man von Ratten sagt, sie verließen ein Haus, wenn ein Erdbeben unmittelbar bevorstehe. Um Euch eine Vorstellung von ihrem Rang zu geben: Unter ihnen waren mindestens zwei Prinzessinnen (Eleonore von Sachsen-Eisenach und ihre Tochter Wilhelmine Caroline von Brandenburg-Ansbach) sowie zahllose weitere Standespersonen, die man allerdings aufgrund ihrer heruntergekommenen und ungepflegten äußeren Erscheinung nie als solche erkannt hätte. Folglich zog die Gräfin de la Zeur – die noch mitgenommener aussah als die meisten anderen – weniger Aufmerksamkeit auf sich als gewohnt. Aber ich weiß, dass sie dort war, denn meine Quellen im Binnenhof teilen mir mit, dass der Prinz von Oranien angeordnet hat, für einen Aufenthalt von unbestimmter Dauer eine Suite für sie herzurichten. Bisher hat sie sich über ihre Beziehungen zu besagtem Prinzen bedeckt gehalten; heute lebt sie in seinem Haus.
    Später werde ich darüber noch mehr zu sagen haben, jetzt möchte ich nur die rhetorische Frage stellen, wie diese Frau es schaffen konnte, mitten in den Kriegsvorbereitungen innerhalb eines Monats völlig unbemerkt über den Rhein von St-Cloud nach Den Haag zu kommen! Dass sie als Spionin für den Prinzen von Oranien arbeitete, ist zu offensichtlich, um eigens erwähnt zu werden; aber wohin ging sie und was berichtet sie Wilhelm jetzt im Binnenhof?
    In Eile
Euer d’Avaux

Rossignol an Ludwig XIV. (Forts.)
    NOVEMBER 1688
    Eure Majestät werden bereits verstanden haben, wie fasziniert ich von d’Avauxs Nachricht war. Der Brief hatte mich mit beträchtlicher Verspätung erreicht, denn aufgrund des Kriegs hatte d’Avaux eine gewisse Erfindungsgabe aufbieten müssen, um ihn überhaupt nach Juvisy expedieren zu können. Ich wusste, ich konnte nicht erwarten, noch weitere von ihm zu bekommen, und der Versuch, ihm auf demselben Weg zu antworten, wäre reine Papierverschwendung gewesen. Folglich beschloss ich, höchstpersönlich und inkognito nach Den Haag zu reisen. Denn Eurer Majestät zu Diensten zu sein, ist mein letzter Gedanke, wenn ich in der Nacht zu Bett gehe, und mein erster, wenn ich des Morgens erwache; und es lag auf der Hand, dass ich in dieser Sache nicht von Nutzen sein konnte, solange ich zu Hause blieb.
    Wenn ich den Eindruck hätte, ich sollte Eurer Majestät lieber mit Unterhaltung dienen, gäbe es bei einer gewissen Neigung zum Vulgären und Aufsehenerregenden viel über meine Reise nach Den Haag zu erzählen. Doch das ginge am Zweck dieses Berichts vorbei. Und da bedeutendere Männer als ich ihr Leben in Eurem Dienst geopfert haben, ohne einen Gedanken an Ehre oder Lohn zu verschwenden, sieht man von einem kleinen Anteil am Ruhme von La France ab, glaube ich nicht, dass es für mich schicklich ist, meine Geschichte hier zu erzählen; schließlich ist, was (zum Beispiel) für einen Engländer ein aufregendes und ruhmreiches Abenteuer sein mag, für einen französischen Edelmann ganz und gar Routine und nicht der Rede wert.
    Ich kam am 18. Oktober in Den Haag an und fand mich in der französischen Botschaft ein, wo M. le Comte d’Avaux dafür sorgte, dass das, was von meinen Kleidern übrig war, auf der Straße verbrannt wurde; dass die Leiche meines Dieners ein christliches Begräbnis bekam; das mein Pferd eingeschläfert wurde, damit es andere nicht ansteckte; und dass meine Mistgabelwunden und die Verbrennungen durch die Fackel von einem französischen Wundarzt versorgt wurden, der in dieser Stadt lebt. Am nächsten Tag begann ich mit meiner Untersuchung, die natürlich auf dem soliden Fundament aufbaute, das d’Avaux in den Wochen seit seinem Brief gelegt hatte. Zufällig drehte genau an diesem Tag – dem 19. Oktober, anno domini 1688 – der Wind so ungünstig, dass es dem Prinzen von Oranien möglich war, an der Spitze von fünfhundert holländischen Schiffen nach England auszulaufen. So bedrückend dieses Ereignis auch für die kleine Franzosenkolonie in Den Haag war, so günstig wirkte es sich doch insofern für uns aus, dass die Häretiker, die uns umgaben, so außer sich waren (für sie ist das Einfallen in andere Länder etwas Neues und ein ungeheures Abenteuer), dass sie mir wenig Beachtung schenkten, während ich meiner Arbeit

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