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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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wird. Auf diese Weise gestaltete Bilder sehen unwillkürlich am Rand gezackt aus, vor allem da, wo versucht wurde, eine Kurve darzustellen; was erklärt, warum solche Stücke aus Versailles und allen anderen Orten verbannt wurden, wo Geschmack und kritisches Urteilsvermögen die Sentimentalität besiegt haben. Dessen ungeachtet werden Eure Majestät sich mit Leichtigkeit vorstellen können, wie einer dieser winzigen x-förmigen Stiche aus der Nähe aussieht: Ein Halbstich verläuft sozusagen von Nordwest nach Südost und der andere von Südwest nach Nordost. Die beiden kreuzen sich in der Mitte. Einer muss über dem anderen liegen. Welches der Deckstich ist, richtet sich einfach nach der Reihenfolge, in der sie ausgeführt werden. Manche Stickerinnen sind Gewohnheitsmenschen, die die Stiche immer in derselben Abfolge machen, so dass ein Halbstich grundsätzlich der Deckstich ist. Andere sind nicht so ordentlich. Als ich die Arbeit der Gräfin durch ein Vergrößerungsglas näher in Augenschein nahm, sah ich, das sie zu Letzteren gehört – was ich bemerkenswert fand, da sie sonst in vielerlei Hinsicht jemand mit höchst regelmäßigen und disziplinierten Gewohnheiten ist. Mir kam der Gedanke, mich zu fragen, ob die Richtungen der Deckstiche womöglich ein verborgener Informationsträger waren.
    Die Dichte des Gewebes betrug etwa zwanzig Fäden pro Zoll. Eine rasche Berechnung zeigte, dass die Anzahl der Fäden auf einer Seite insgesamt 360 betrug, woraus sich fast 130 000 Quadrate ergaben.
    Ein einzelnes Quadrat für sich genommen konnte nur einen Hauch von Information transportieren, da es sich nur in einem von zwei möglichen Zuständen befinden kann: Deckstich ist entweder der Nordwest-Südost- oder der Südwest-Nordost-Halbstich. Das erscheint vielleicht sinnlos, denn wie kann man eine Botschaft in einem Alphabet mit nur zwei Zeichen schreiben?
    Mirabile dictu gibt es einen Weg, genau das zu tun, von dem ich erst kürzlich durch die lose Zunge eines bereits erwähnten Herrn gehört hatte: Fatio de Duilliers. Dieser Fatio floh nach England, nachdem der Kontinent für ihn ein feindlicher Ort geworden war, und freundete sich mit einem herausragenden englischen Alchimisten namens Newton an. Er ist eine Art Ganymed für den Zeus Newton geworden und folgt ihm, wenn möglich, überallhin; wenn sie gezwungenermaßen voneinander getrennt sind, schwatzt er jedem, der ihm zuhört, die Ohren über seine enge Beziehung zu dem großen Mann voll. Das weiß ich von Signore Vigani, einem Alchimisten, der am selben College wie Newton und daher oft gezwungen ist, mit Fatio zusammen zu speisen. Fatio neigt zu irrationaler Eifersucht und heckt immer wieder Pläne aus, um den Ruf all jener zu schädigen, von denen er glaubt, sie könnten Rivalen im Kampf um Newtons Zuneigung sein. Einer von ihnen ist ein gewisser Dr. Waterhouse, der, als sie noch Jungen waren, ein Zimmer mit Newton teilte und meinetwegen auch Sodomie mit ihm trieb; aber für Fatio zählen keine Fakten, sondern nur seine eigenen Vorstellungen. In der Bibliothek der Royal Society traf Fatio vor kurzem auf Dr. Waterhouse, der über einigen Papieren schlief, auf denen er an einer gänzlich aus Einsen und Nullen bestehenden Berechnung gearbeitet hatte – einer von Leibniz eingehend untersuchten mathematischen Kuriosität. Dr. Waterhouse erwachte, bevor Fatio sich aus der Nähe anschauen konnte, was er gemacht hatte; da das fragliche Dokument aber ein Brief aus dem Ausland zu sein schien, folgerte er, dass es vielleicht eine Art Verschlüsselungsmethode war. Nicht lange darauf ging er mit Newton nach Cambridge und gab diese Geschichte am Tisch der Professoren und Gelehrten zum Besten, damit alle sehen konnten, wie klug er war und dass Waterhouse bestimmt ein Dummkopf und vermutlich ein Spion war.
    Von meinen Aufzeichnungen im cabinet noir wusste ich, dass die Gräfin de la Zeur zur selben Zeit einen Brief an die Royal Society geschrieben hatte und dass sie Geschäftsbeziehungen zu Dr. Waterhouses Bruder unterhielt. Ihre verdächtig umfangreiche und geistlose Korrespondenz mit Leibniz habe ich bereits erwähnt. Unter erneuter Anwendung von Ockhams Rasiermesser stellte ich die These auf, dass die Gräfin eine vermutlich von Leibniz erfundene Geheimschrift benutzt, die auf binärer Arithmetik beruht, das heißt, aus Einsen und Nullen besteht: ein Alphabet aus zwei Buchstaben, das, wie ich erklärt habe, hervorragend zur Darstellung in Kreuzsticharbeit geeignet ist.
    Einen

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