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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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verberge sich in den Ecken ein Chor von Mönchen, die einen ihrer Gesänge intonierten, doch in Wirklichkeit handelte es sich um das Brummen einer ganzen Zivilisation von Fliegen, die so groß waren, dass einige Bass zu singen schienen – sie waren aus den Rattenkadavern hervorgegangen, die dicht wie Herbstlaub den Kellerboden bedeckten. Es roch dementsprechend.
    Das Abflussrohr gelangte durch ein Loch im Boden des darüber liegenden Raums in den Keller und endete in einem steinernen Taufbecken – der Jumboausführung zum kompletten Untertauchen kleiner Kinder -, das wahrscheinlich zu der Zeit, als Heinrich VIII. die Papisten vertrieben hatte, in eine Ecke geschoben worden war. Das entnahm Daniel den Symbolen Roms, die so zahlreich darin eingemeißelt waren, dass ihre Entfernung das Ganze strukturell zerstört hätte. Wenn sich dieses Gefäß aus dem Abflussrohr füllte, lief das überschüssige Regenwasser über und mäanderte in eine Ecke, wo es in der Erde versickerte – vielleicht hatte diese Trinkwasserquelle die kranken Ratten angezogen.
    Jedenfalls war das Becken mit einem Gitter abgedeckt, das von ein paar Ziegelsteinen festgehalten wurde – darunter drang ein zufriedenes Quarren hervor. Aus einem Zwischenraum zuckte ein rosa Fleck, schnappte aus der Luft eine Fliege, verhielt einen Augenblick straff gespannt, schnellte dann wieder zurück. Daniel nahm die Ziegelsteine weg, hob das Gitter an und sah sich Aug’ in Auge einem halben Dutzend der gesündesten Frösche gegenüber, die er je gesehen hatte, Frösche, so groß wie Terrier, Frösche, die Spatzen aus der Luft hätten fangen können. Wie er da in der Stadt des Todes stand, musste Daniel lachen. Der zeugende Geist lief Amok in den Körpern von Ratten, deren Kadaver in Fliegen verwandelt wurden, die ihren Geist aufgaben, um fröhlich blinzelnde grüne Frösche hervorzubringen.
    Ein leises, tausendfaches Klicken erzeugte ein Geräusch wie Schneeregen, den der Wind gegen eine Fensterscheibe prasseln lässt. Daniel senkte den Blick und sah, dass es Schwärme von Fliegen waren, die überall im Keller von den Rattenkadavern aufgestiegen waren, sich auf ihn gestürzt hatten und nun immer wieder von seinen Lederstiefeln abprallten. Er stöberte herum, bis er einen Brotkorb fand, setzte die Frösche hinein, breitete lose ein Tuch darüber, um sie am Entkommen zu hindern, und verließ diesen Ort.
    Zwar konnte er den Fluss von hier aus nicht sehen, doch das Rinnsal von Themsewasser, das sich, von der Leadenhall hügelabwärts, die Gosse in der Mitte der Poultry Lane hinabzuschlängeln begann, verriet ihm, dass die Ebbe einsetzte. Normalerweise wäre es ein Brei aus den von Händlern an der Börse weggeworfenen Zetteln, doch heute war es klumpig von Ratten- und Katzenkadavern.
    Er umging die Gosse so weiträumig wie möglich, marschierte aber gegen ihren Strom weiter bis an den Rand des Goldschmiedeviertels, von wo sich Threadneedle, Poultry, Lombard und Cornhill auf verwirrende Weise verästelten. Die Cornhill hinauf erreichte er den höchsten Punkt der Stadt London, wo die Cornhill auf die Leadenhall (die ostwärts, von hier aus allerdings bergab, weiterführte), die Fish Street (geradewegs bergab zur London Bridge) und Bishopsgate (bergab in Richtung Stadtmauer, Bedlam und der Pestgrube, die man dort ausgehoben hatte) stieß. Mitten auf dieser Kreuzung ragte aus dem Boden ein Standrohr mit einer Tülle für jede dieser Straßen, und aus jeder dieser Tüllen rauschte Themsewasser, um die Gossen zu spülen. Dieses Rohr war mit einer im Boden verlegten Leitung verbunden, die unter der Fish Street zum Nordende der London Bridge verlief. Während der Herrschaft Elizabeths hatten ein paar gescheite Holländer dort Wasserräder gebaut. Auch wenn die Männer, die sie warteten, tot oder aufs Land geflohen waren, drehten sich diese Räder jedes Mal mit großer Kraft, wenn die Ebbe einsetzte und sich auf der stromaufwärts gelegenen Brückenseite Hochwasser ansammelte. Sie waren mit Pumpen verbunden, die mit hohem Druck Wasser in das Rohr unter der Fish Street pumpten und (wenn man auf diesem Hügel wohnte) den angesammelten Abfall wegspülten oder (wenn man woanders wohnte)zweimal täglich einen Schwall von Müll, Scheiße und toten Tieren heranführten.
    Daniel folgte besagtem Schwall Bishopsgate hinunter und sah das Wasser im Gehen immer schmutziger werden, ging aber nicht bis zur Mauer – er machte bei dem großen Haus oder vielmehr Gebäudekomplex Halt, den Sir

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