Quipu
verlassen.«
Der Hinterausgang führte auf eine enge Gasse, die mit dem sich gerade erst auflösenden Nebel ein bedrohliches Szenarium bot. Sebastián drückte sich an der Mauer entlang in Richtung Kathedrale. Hoffentlich hatten seine Verfolger nichts bemerkt. Doch auf halber Strecke stellten sich ihm die fünf Männer in den Weg. Sie zückten ihre Schwerter und bauten sich vor ihm auf.
|273| Die Verschleierte
D as Halbdunkel der Kathedrale wurde von Zeit zu Zeit von einem flüchtigen Sonnenstrahl erhellt, der, dem Nebel entronnen, durchs Fenster auf die brennenden Altarkerzen herabfiel, vor denen sich die murmelnden Betschwestern scharten.
Von der Kanzel herab leitete Padre Tarsicio gerade die Rosenkranzandacht. Warum habe ich nur meinen Mantel und den Priesterhut im Beichtstuhl liegenlassen?, fragte er sich. Trotz des kleinen Kohleofens, den der Geistliche vorsichtshalber zu seinen Füßen aufgestellt hatte, war es ungemütlich kalt. Gerade dachte er an einen neuerlichen Schluck Messwein, mit dem er sich zuvor klugerweise gestärkt hatte, als er die Tür am Ende des Querschiffs quietschen hörte und der Kopf eines Mannes zum Vorschein kam, der vorsichtig nach links und rechts blickte. Er wirkte atemlos und ziemlich fehl am Platz zwischen den Betenden. Seiner Haltung nach zu urteilen, war der Fremde sich durchaus bewusst, dass er ihre Andacht störte. Dennoch trat er ein, zog die Tür hinter sich zu, schlich auf Zehenspitzen an Padre Tarsicios hingebungsvollen Schäfchen vorbei und setzte sich hinter sie.
Kurze Zeit später knarrte die Tür erneut. Nun sahen alle Anwesenden in die Richtung und erblickten dort fünf finstere Gesellen, die die Gemeinde musterten und dann miteinander zu flüstern begannen, sodass Padre Tarsicio, der allmählich ungeduldig wurde, ihnen bedeutete, leise zu sein und die Tür wieder zu schließen. Er tat dies zunächst mit diskreten Gesten, dann mit zunehmender Vehemenz, bis die Kerle endlich verschwanden.
Ein paar Gesätze des schmerzhaften Rosenkranzes später war |274| jedoch ein neuerliches Quietschen des schweren Holzportals zu vernehmen. Doch waren die Männer nicht zurückgekehrt, wie der Padre dachte: Nun trat eine verschleierte Dame ein. Klackernden Schrittes ging sie an den Betschwestern vorbei und setzte sich hinter den Fremden, das einzige männliche Wesen in dieser verschwörerischen Gesellschaft alter Schachteln.
Dieses unverschämte Ding!, rief Padre Tarsicio innerlich aus, während er die Frau genauestens unter die Lupe nahm. Das Folgende verschlug ihm dann vollends die Sprache. Die Frau schob ihren Schleier beiseite, näherte ihren Mund dem Ohr des Mannes und flüsterte ihm etwas zu. Und nicht nur das: Kurz darauf stand sie auf und begab sich hinter den Betschwestern auf die gegenüberliegende Seite. Der Pfeiler, an dem die Kanzel hing, versperrte Padre Tarsicio und seinen Schäfchen nun die Sicht, doch konnte er ein unverwechselbares Quietschen vernehmen: das Geräusch, das die Scharniere der Beichtstuhltür machten.
Unerhört! Mein Beichtstuhl!, dachte er. Er hatte sich noch nicht wieder von dem Schrecken erholt, als er sah, dass der Mann ebenfalls aufstand, um sich zu der Verschleierten zu gesellen. Von der privilegierten Höhe seiner Kanzel herab konnte Padre Tarsicio als Einziger das Ganze beobachten. Er war empört über die Verletzung des Anstands im Hause des Herrn. Sollte er den Rosenkranz abbrechen? Während seine Stimme, bereits misstönend, sich in lateinischen Verherrlichungen der Keuschheit erging, malte er sich aus, wie sein Beichtstuhl entweiht wurde. Mehr denn je sehnte er sich nach einem Schluck Messwein. Das Quietschen machte es ihm unmöglich, sich auf die Gebete zu konzentrieren. Aber vielleicht sind sie ja unschuldig, versuchte er sich selbst einzureden. War nicht dafür das Recht auf Asyl da? Denn diese finster dreinblickenden Kerle, die sich im Gotteshaus umgesehen hatten, waren keineswegs friedliebende Gesellen gewesen. Vielleicht war ja ein gehörnter Ehemann darunter, der Rache suchte? Hatte nicht Jesus ebenfalls die Ehebrecherin beschützt?
Der Padre versuchte, in das Gebet zurückzufinden, da er sah, wie die ungeduldigen Blicke seiner Schäfchen, die ihren üblichen |275| Schwall von
ora pro nobis
unterbrochen hatten, sich wie eine nach Rechenschaft verlangende Gewehrsalve auf ihn richteten. Er hatte die Heiligenanrufung gerade wiederaufgenommen, als er hörte, wie die Tür des Beichtstuhls aufging. Vorsichtig drehte er sich um und
Weitere Kostenlose Bücher