Quipu
entbinden.
Die weiteren Papiere lieferten nur bruchstückhafte Erkenntnisse über Sírax: Nach ihrem Tod wurde ihr Leichnam 1573 Cristóbal de Fonseca übergeben, der ihr stets als Dolmetscher gedient hatte und nun versprach, sie in der Burg seiner Familie zu bestatten.
Was Sebastián dann aber las, war vielleicht die Fährte, die so viele Menschen suchten: In Wahrheit war Sírax’ mumifizierter Leichnam unter der Obhut ihrer indianischen Dienerin Sulca nach Peru überführt und in der Krypta des Klosters Santo Domingo, wo sich einst der Sonnentempel der Inkas erhoben hatte, bestattet worden. Und mit ihm seine Geheimnisse, all das, was Sírax ihrem Heimatland hatte zurückgeben wollen.
Das ist es!, dachte Sebastián, der sein Glück kaum fassen konnte. Doch er durfte seine Lektüre nicht unterbrechen,die Zeit drängte. Wie Gil de Ondegardo schrieb, wurde Cristóbal de Fonseca kurz darauf ins Gefängnis geworfen. Man beschuldigte ihn, den Punchao nicht ausgehändigt zu haben, den der Vizekönig ihm anvertraut hatte,damit er ihn nach Spanien brachte. Fonseca behauptete, von Indios überfallen worden zu sein, und legte glaubwürdiges Zeugnis davon ab. Doch es nutzte ihm nichts. Er blieb im Gefängnis von Cádiz, bis zu seinem Tod im Jahre 1596, als die Stadt von den Engländern geplündert wurde. Der Großteil seiner Schriften fiel damals dem Feuer zum Opfer. Dies war ein unwiederbringlicher Verlust,hatte er doch zahlreiche Schriften über Peru verfasst. Wenn überhaupt etwas davon der Nachwelt überliefert worden war, dann nur, weil der Inka Garcilaso de la Vega angeblich einen Teil von Fonsecas Schriften aus der Asche gerettet und für seine ›Wahrhaftigen Kommentare zum Reich der Inkas‹ verwendet hatte. |271| Böse Zungen behaupteten allerdings, er habe das, was der Jesuit über die Quipus geschrieben habe, vorab zensiert, insbesondere das, was Fonseca über ein rotes Quipu geschrieben habe, das nur die Herrscher und ihre engsten Vertrauten gekannt hätten. Dessen Wert sei unermesslich, weil es das Verständnis aller weiteren Botschaften ermögliche.
Ein weiteres Dokument enthüllte, dass die Gesellschaft Jesu nach Cristóbal de Fonsecas Tod beschloss, einige ihrer Archivare mit der Erforschung der Quipus zu betrauen und sie nach diesem besonderen Exemplar sowie nach anderen Zeugnissen zu dieser »Schrift« der Inkas suchen zu lassen. Unglücklicherweise hatte das zwischen 1581 und 1583 abgehaltene Dritte Konzil von Lima die geheimnisvollen Knotenschnüre jedoch zu Götzen erklärt und ihre Zerstörung angeordnet.
Diese Unterlagen verdeutlichten, dass die Gesellschaft Jesu die Spur des roten Quipus hartnäckig verfolgt hatte. Dank der Arbeit seiner Vorgänger hatte Gil de Ondegardo ein unermessliches Wissen darüber anhäufen können. Diese Schriften waren von entscheidender Bedeutung. Carvajal und Montilla wussten um ihre Wichtigkeit und auch darum, welche Rolle sie für die Pläne der Engländer und anderer Verschwörer spielen konnten.
Und schließlich erregten drei weitere Blätter Sebastiáns Aufmerksamkeit. Das Papier war von derselben Beschaffenheit wie Diego de Acuñas Chronik, auch Tinte und Schrift stimmten mit dem Werk überein. Der gezackte Rand verriet, dass die Blätter aus einem gebundenen Buch herausgerissen worden waren. Es handelte sich um eine Auflistung von Wörtern in Quechua.
Deswegen hat mein Onkel Álvaro sie aus der Chronik herausgerissen. Er wollte sie in Lima übersetzen lassen!, dachte Sebastián.
Als er sie gerade untersuchte, kam die Dienerin herein. Unruhig flüsterte sie María de Ondegardo etwas ins Ohr, worauf diese ans Fenster trat und vorsichtig den Vorhang beiseiteschob. Dann drehte sie sich zu Sebastián um.
»Sagten Sie nicht, Sie seien alleine gekommen?«, fragte sie in vorwurfsvollem Ton und deutete hinaus auf die Straße.
|272| Sebastián trat an ihre Seite. Unten standen die fünf Männer, die ihm gefolgt waren.
»Ich habe nichts mit diesen Männern zu tun«, erklärte er der Witwe. »Ich weiß nicht, wer sie sind.«
»Trotzdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt gingen. Sie haben mich in eine missliche Lage gebracht. Und sich selbst in Gefahr.«
»Dürfte ich diese Papiere mitnehmen?«
Zu seiner großen Überraschung nickte die Witwe.
»Sie dürfen. Da Sie solche Risiken dafür eingegangen sind, kann ich Ihnen diesen Wunsch nicht verwehren. Und mich befreien Sie so davon. Aber jetzt verschwinden Sie. Sie sollten das Haus durch die Hintertür
Weitere Kostenlose Bücher