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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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Boden gerammt, zwischen denen sie mit Lederbändern nun dünne Stöcke befestigten. Sobald dieses Gerüst stand, flochten sie Schilfrohr dazwischen. Danach machte sich ein Maurer ans Werk: Er bestrich das Ganze mit einem Gemisch aus Lehm und Stroh, ähnlich jenem, das man für Luftziegel und Lehmmauern verwendete, bis das Rohrgeflecht wie eine Mauer aussah. Andere Handwerker deckten und teerten dann das Dach. Schließlich verputzten sie die Wände noch mit Lehm, und einer bemalte diese geschwind, damit sie wie Stein aussahen.
    Limas imposante, nach außen hin so stabil wirkende Gebäude waren also, wie Sebastián feststellen konnte, in Wirklichkeit nichts anderes als große, aus Schilfrohr geflochtene Körbe, die auf dem Kies des Schwemmlandes aufgestellt worden waren und in sich |281| zusammenfallen würden, sollten sich je so starke Regenfälle oder Stürme wie in anderen Breitengraden über die Stadt ergießen. In einen Lehmstrom verwandelt, würden ihre Häuser bis zum Hafen von Callao hinunterrutschen, und übrig blieben lediglich ein paar erbärmliche Gerippe aus Rohrgeflecht.
    Da verstand er, was sein Vater mit seinem merkwürdigen Sekretär und den Zetteln versucht hatte, die er in die drei Gruppen Tektonik, Textil und Text eingeteilt hatte. Und er verstand, dass ein Haus für die Menschen hier wie eine Art Gewebe war und dass früher vermutlich alle Häuser so gebaut worden waren wie dieses, das sie gerade vor sich hatten. Juan de Fonseca war weder im Besitz des Quipus und dessen Niederschrift auf diesen drei aus der Chronik herausgerissenen Seiten gewesen, noch hatte er die Botschaft gekannt, die Sírax in ihrem Grab hinterlassen hatte. Und dennoch hatte er versucht, die Karte über die von Diego de Acuña erwähnten Orte zu rekonstruieren, ohne dabei die enge Beziehung außer Acht zu lassen, die zwischen dessen Text und den
huacas
sowie der Architektur der Orte bestand. In diesen Beziehungen und dem Quipu musste der Hinweis auf das Auge des Inkas und die verlorene Stadt Vilcabamba zu finden sein.
     
    »Die einzige Möglichkeit, die Orte aus der Liste mit den entsprechenden Knoten des Quipus in Verbindung zu bringen«, meinte Umina auf der Treppe hinunter zur Bibliothek, »ist, nach Cuzco zu reisen, Sírax’ Grab zu finden und einen
quipucamayo
zu befragen.«
    »Ich weiß aus sicherer Quelle, dass Carvajal und Montilla mit ihrer bewaffneten Truppe auch bald dorthin aufbrechen werden«, erklärte ihnen Luis de Zúñiga, dem sie kurz darauf von ihren Plänen berichteten.
    »Wir müssen Cuzco unbedingt vor ihnen erreichen!«, rief Sebastián und sprang auf.
    Zúñiga schüttelte den Kopf. »Falls Sie irgendwann eines natürlichen Todes sterben möchten und nicht an einem Unfall, wird das nicht möglich sein, Fonseca. Qaytu wird noch drei bis vier Tage |282| brauchen, bis er einen Maultierzug zusammengestellt hat. Er ist ein sehr erfahrener Maultiertreiber, aber man darf keine Wunder von ihm erwarten, er braucht die Zeit.«
    Don Luis stand auf und holte seine von Juan de la Cruz Cano y Olmedilla gezeichnete Landkarte des südlichen Amerikas. Mit einem Stift zeigte er ihnen die Reiseroute die Küste enlang zu den in blutigen Schlachten umkämpften Bergen und Tälern, die so sprechende Namen wie
Cristo, Concepción
und
Trinidad,
»Christus«, »Empfängnis« und »Dreifaltigkeit«, trugen.
    »Das sieht mir nicht nach einer Landkarte, sondern vielmehr nach einer theologischen Abhandlung aus«, entfuhr es Sebastián.
    Don Luis lächelte. »Ja, und hier, zwischen Curahuasi und Marcahuasi, befindet sich schließlich die Hölle: die Brücke über den Apurímac.« Er zeigte auf die Karte. »Ihr müsst sie passieren, ehe sie gesperrt wird. Jede Umgehung verlängert die Reise um eine gute Woche.«
    »Und warum ist diese Brücke so höllisch gefährlich?«
    »Sie erstreckt sich über eine Kluft von schwindelerregender Höhe. Und sie ist nur aus Seilen gemacht und schaukelt wie eine Hängematte.«
    »Wie lange werden wir für die Reise brauchen?«
    »Der Karte zufolge sind es hundertvierundachzig Meilen, aber Qaytu kennt sämtliche Abkürzungen. Ungefähr zwanzig Tage, grob geschätzt, wenn nichts dazwischenkommt   …«
    »Was soll denn dazwischenkommen?«
    »Es herrscht gerade viel Unruhe in den Anden; ihr müsst euch auf allerlei Angriffe einstellen. Allein die natürlichen Hindernisse sind genug. Obgleich die Regenzeit vorbei ist, wird es noch angeschwollene Flüsse geben, kaputte Brücken, Abgründe und Lawinen  

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