Quipu
angefallenen Zinsen. Er wusste genau, dass Qaytu diese nicht bezahlen konnte, und so sollte der Indio seine Schulden in der Manufaktur abarbeiten. Und da er dies allein nicht schaffen konnte, verpflichtete Carvajal auch Qaytus Eltern und Geschwister.
Für jemanden wie Qaytu, der es gewohnt war, an der frischen Luft zu sein und frei mit seinen Tieren herumzuziehen, war es schrecklich, den ganzen Tag in der Manufaktur eingesperrt zu sein. Vergebens bat er darum, man möge ihn die Schulden über die Maultierherde abstottern lassen: Er wurde zur Arbeit in der Färberei verpflichtet, wo er mit Lauge, Kalk, Kupfervitriol und anderen beißenden Substanzen in Berührung kam. Für ihn war es eine Tragödie: Statt seine Familie aus dem Elend zu erretten, hatte er sie erst recht hineingestürzt.
In der Manufaktur wird seither in zwei Schichten von je zwölf Stunden gearbeitet. Dort arbeiten junge wie alte Indios, Frauen wie Kinder. Carvajal zwingt auch die Indiofrauen zu schwerer Arbeit, selbst wenn sie schwanger sind oder gerade erst entbunden haben. Einige erleiden Fehlgeburten, und viele sind schon am Webstuhl gestorben«, erklärte Don Luis betrübt. »Die Arbeitsbedingungen |291| und Strafen sind in
La Providencia
so unmenschlich, dass sie alles übertreffen, was man sich vorstellen kann. Die Arbeiter haben dort dieselben Überlebenschancen wie Galeerensträflinge. Am schlimmsten trifft es dabei die Indios. Denn Carvajal lässt lieber zehn Indios sterben als einen schwarzen Sklaven. Schließlich hat der ihn teures Geld gekostet, während er die Indios umsonst haben kann.«
»Und niemand tut etwas gegen diese Ausbeutung?«, fragte Sebastián empört. »Es muss doch Menschen geben, die das überwachen.«
»Die gibt es, aber die drücken gern ein Auge zu. Wenn sie die Bestechungsgelder ausschlagen, prasseln Drohungen auf sie nieder. Diejenigen, die versucht haben, die Missstände anzuzeigen, wurden ausgeschaltet. Das ist Carvajals Spezialität. Diese ganzen Vergeltungsmaßnahmen nennt er dann ›Lektion‹. Und aus den Belehrten werden Gewarnte.«
»Ich hatte von den unseligen Bedingungen in den Minen gehört, aber das hier ist ja nichts anderes!«
»Es ist sogar noch schlimmer, weil die Indios in der Manufaktur zu wenig zu essen und Aufgaben zugeteilt bekommen, die ihre Kräfte übersteigen, weil sie weder Pausen noch Rechte haben und um ihre Tagelöhne betrogen werden. Ein Vizekönig hat einmal zu Recht gesagt, dass nach Spanien kein Silber gebracht werde, sondern der Schweiß und das Blut der Indios«, schloss Zúñiga.
»Und Uminas Bruder? Was ist mit ihm passiert?«
»Nun, als Manuel merkte, dass Qaytu nicht mehr nach Cuzco kam, reiste er zu der Manufaktur und fragte nach ihm. Carvajal versuchte, ihn einzuwickeln, doch der Maultiertreiber erzählte ihm die Wahrheit. Daraufhin erhob Manuel Anklage, weil in der Werkstatt die Schutzgesetze nicht eingehalten wurden. Doch statt Carvajal zu bestrafen, unterrichtete der bestochene Richter diesen über die Anzeige und ihren Ursprung. Und als Warnung für alle ließ Carvajal Qaytu die Zunge abschneiden, die dann seinem Hund hingeworfen wurde, damit der sie vor seinen Augen auffraß.«
|292| »Und Qaytu hat Carvajal deswegen nicht angezeigt?«
»Seine Familie wird immer noch in der Manufaktur festgehalten. Außerdem sehen Sie doch, wohin solche Anzeigen führen. Uminas Bruder und ich haben Qaytu danach angeboten, für uns zu arbeiten. Solange er in unseren Diensten steht und keine Vorwürfe gegen ihn erhoben werden, wird Carvajal es nicht wagen, öffentlich gegen ihn vorzugehen. Obwohl er es im Verborgenen sicher längst versucht.«
»Und was ist mit Uminas Bruder passiert?«
»Das war grauenvoll. Als er sah, dass er hier nichts erreichen würde, wollte er nach Spanien reisen. Nicht nur, um seine Rechte als direkter Nachfahre der Inkas geltend zu machen, sondern auch, um Carvajals Machenschaften anzuzeigen. Doch er hat das Schiff nie betreten. Er wurde zuvor umgebracht.«
»Und wie?«
»Genau weiß ich das auch nicht. Ich weiß nur, wie Umina und ihre Mutter davon erfahren haben. Eines Tages wurde ihnen in ihrem Haus in Cuzco eine Kiste zugestellt. Und als sie sie öffneten, fanden sie darin Manuels Kopf. Man hatte ihn in Öl gebraten, damit er sich hielt.«
»O mein Gott! Jetzt verstehe ich Uminas Reaktion auf dem Schiff nach Callao, als ich ihr erzählte, dass Carvajal hinter dem Ganzen steckt. Sie muss schreckliche Angst haben.«
»Dessen können Sie sicher
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