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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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erwiderte Zúñiga. »Um einen so harten Marsch auszuhalten, müssen sie mindestens vier Jahre alt sein.«
    »Und die dort drüben?«, bohrte der Ingenieur weiter, als er ein paar fertig gerüstete Tiere sah, die ein anderer Treiber gerade aussuchte.
    »Die taugen für hier unten, aber nicht für die Anden. Maultiere, die in den sandigen Küstentälern aufgewachsen sind, verletzen sich in höheren Lagen an dem harten Untergrund, sie ermüden beim Aufstieg und stürzen oft ab.«
    Als Qaytu mit der Auswahl der Maultiere fertig war, wollte Sebastián ihn zur Eile mahnen. Doch Zúñiga hielt ihn zurück.
    »Lassen Sie ihn machen. Und sehen Sie zu, wie man ein Maultier bändigt; Ihr Leben wird vielleicht davon abhängen.«
    Der Maultiertreiber hatte ein Lasso in die eine und einen Poncho in die andere Hand genommen, um es mit einem kräftigen Maultier aufzunehmen, das man noch nicht hatte zähmen können.
    Das Tier bleckte die gelblichen Zähne, schnappte nach ihm und schlug dann so heftig aus, dass es jedem, der ihm in die Quere gekommen wäre, die Rippen gebrochen hätte. Qaytu hielt sich zunächst abseits, doch kaum war das Maultier etwas weniger wachsam, drängte er es in eine Ecke des Gatters, wo er den Poncho über seinen Kopf warf, damit es nichts mehr sehen konnte. Das Tier machte einen Satz, aber das hatte der Indio vorausgesehen. Er stürzte sich auf es, drückte es gewaltsam zu Boden und gab den Arbeitern ein Zeichen, ihm zu Hilfe zu kommen und die Vorder- und Hinterbeine festzuhalten, während er ihm ein Halfter über den Kopf streifte. Danach ließen sie es wieder los. Kaum, dass es sich aufgerichtet hatte, begann es auch schon wieder auszuschlagen. Qaytu ließ das Tier zunächst gewähren. Doch dann, |287| in einem unerwarteten Augenblick, warf er sich erneut auf es und zwang es wieder zu Boden, bis das Tier keuchte. Dennoch wollte das Maultier die Unterwerfung noch immer nicht hinnehmen, und Qaytu wusste, dass seine Arbeit erst vollendet war, wenn es sich reiten ließ. Sich ganz auf sein Gefühl verlassend, setzte er entsprechend sanfte oder auch harte Mittel ein. Erst als er glaubte, das Tier habe seine Fluchtabsichten aufgegeben, ließ er es los. Er trieb es zunächst ein wenig an, bis es schließlich bei gelockerten Zügeln zu seiner vollen Zufriedenheit trabte, und erst dann reihte er es zwischen die anderen Maultiere ein.
    »Haben Sie das gesehen?«, fragte Don Luis Sebastián. »Niemand außer Qaytu ist zu so etwas in der Lage.«
    »Aber warum will er ein so widerspenstiges Tier mitnehmen?«
    »Er würde niemals ohne Cerrera aufbrechen. Er hat sie aus einer Mine gerettet, in die man Maultiere gleich nach ihrer Geburt steckt, weil sie später nicht mehr durch die engen Stolleneingänge passen. Sind sie einmal drin, schleppen sie dort bis an ihr Lebensende die Lasten, ohne je wieder ans Tageslicht zu gelangen. Qaytu und sie haben eine ganz enge Beziehung. Er hat sie großgezogen. Das Problem ist nur, dass Cerrera verwildert, wenn Qaytu sie längere Zeit nicht reitet. Dann probiert sie aus, ob er weich geworden ist oder immer noch das Sagen hat.«
    »Er hätte doch genauso gut ein anderes Tier nehmen können.«
    »Cerrera ist anders als andere«, erwiderte Zúñiga. »Sie hat einen großartigen Instinkt für die besten Pfade. Die übrigen Tiere folgen ihr blind. Man muss sie nur an die Spitze der Herde setzen, und schon ist die Hälfte der Strecke gesichert.«
    »Wo hat Qaytu eigentlich so viel über diese Tiere gelernt?«
    »In der Tuchmanufaktur
La Providencia
. Dorthin werden sie wohl auch Umina bringen.«
    »Ich verstehe Sie nicht.«
    »Man hat Ihnen nichts davon erzählt, nicht wahr?«
    »Wovon?«, wunderte sich der Ingenieur.
    »Ich glaube, Sie sollten unbedingt ein paar Dinge über Carvajal erfahren, schließlich werden Sie ihm gegenübertreten.«
    |288| Und Don Luis erzählte ihm, dass Qaytus Eltern, einfache Indios, die nicht alle ihre Kinder ernähren konnten, ihren Erstgeborenen zum Arbeiten in die nahe dem Fluss Apurímac gelegene Tuchmanufaktur
La Providencia
geschickt hatten, die in jener Zeit noch von der Gesellschaft Jesu verwaltet wurde. Der Verwalter, Padre Lucas, der die guten Anlagen des Jungen erkannte, nahm Qaytu unter seine Fittiche und brachte ihm Lesen und Schreiben bei.
    Der Jesuit erkannte bald, dass die Zukunft der Manufaktur im Transport ihrer Ware mit den Maultieren lag. Das Problem war nur, dass diese im Hochland von Cuzco teuer waren, da sie fern von Peru, auf den Weiden

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