Quipu
Wasser emporstieg. An den scharfkantigen Felsen bildeten sich gefährliche Strudel. Ein Sturz in diese Fluten bedeutete den sicheren Tod.
Allein bei dem Gedanken, die Brücke überqueren zu müssen, wurde einem angst und bange, erst recht, wenn man den Wind spürte, der trotz der frühen Morgenstunde bereits heftig pfiff. Zudem hatte man bereits mit den Wartungsarbeiten begonnen, weshalb einige der schützenden Stricke zwischen Geländer und Brückenboden fehlten.
Der Brückenwart ließ sie wissen, dass die Brücke gesperrt sei. Umina musste ihre ganze Überredungskunst aufbieten und zudem ein ordentliches Schmiergeld zahlen, um die Erlaubnis zum Passieren der Brücke zu erhalten, indes auf eigene Verantwortung. Und es kostete die junge Frau weitere kostbare Zeit, bis sie ihn überzeugt hatte, dass ihn dies nicht der Verpflichtung enthob, die Seile zu spannen, um das Schwanken auszugleichen.
Der Brückenwart gab die Anweisung an seine Männer weiter, die so lustlos die Seile spannten, dass die Brücke schließlich ziemlich schief hing und die Seile, die als Geländer dienen sollten, so tief verliefen, dass sie keinen sicheren Schutz boten.
Qaytu drängte sie, da sie wertvolle Zeit verloren. Je weiter der Morgen voranschritt, umso heftiger würde der Wind durch die Schlucht fegen. Er betrat als Erster die Brücke, da er wusste, dass die anderen Maultiere seiner Cerrera willig folgen würden. Umina und Sebastián sollten das Schlusslicht bilden, um die Ängstlicheren anzutreiben.
|329| Als sie sich auf den wackligen Steg begaben, war der Wind bereits mit zunehmender Wucht zu spüren und löste bei allen eine tiefe Unruhe aus. Bei Windstille und ordentlich gestrafften Seilen wies die Brücke nur eine leichte Krümmung nach unten auf, doch nun war diese stark ausgeprägt. Hinzu kam, dass die mit Moos bewachsenen Bohlen äußerst rutschig waren, ja stellenweise sogar gebrochen, sodass man leicht abrutschen konnte.
Als alle sich bereits über dem Wasser befanden, kam es zu einer äußerst gefährlichen Situation. In der Mitte trotteten die mit den schwersten und wertvollsten Gegenständen beladenen Tiere, die auf einmal in der Tiefe des von den Seilen gebildeten Us stehen blieben, da sie es nicht schafften, die Steigung zu überwinden.
Das Tosen des Flusses und das Rauschen des Windes übertönend, versuchte Umina Qaytu darüber zu unterrichten, der schon fast am anderen Ufer angelangt war. Der Maultiertreiber wandte sich um, und als er die Situation erfasst hatte, gab er den Männern hinter sich ein Zeichen, an den Halftern der Tiere zu ziehen, damit sie den Aufstieg schafften. Doch die Maultiere waren so verschreckt, dass jegliches Vorankommen unmöglich war. Umina erkannte augenblicklich, dass bald Panik unter Mensch und Tier ausbrechen und die Brücke sich noch weiter senken würde, wodurch sie alle zu Tode kämen. Da konnte Sebastián sich ein weiteres Mal von der unglaublichen Entschlossenheit der jungen Mestizin überzeugen, die nun mit einer Kaltblütigkeit Befehle auf Quechua erteilte, um die sie der beste Stratege beneidet hätte.
»Los, beeil dich!«, rief sie Qaytu zu. »Spann deine Maultiere an die Winde und straff die Seile!« Und den Maultiertreibern, die sich an der tiefsten Stelle befanden, befahl sie: »Und ihr schnürt die Lasten los und werft sie ins Wasser!«
Die Männer zögerten, ihr zu gehorchen, da sie wussten, was dies bedeutete. Viele der Waren stammten aus Spanien. Sie über Bord zu werfen bedeutete einen riesigen Verlust: Es würde nicht nur den Gewinn dieser Fracht zunichtemachen, sondern vielleicht sogar den der ganzen Saison.
|330| »Habt ihr mich nicht verstanden?«, drängte sie. »Los, schmeißt sie ins Wasser!«
Eines nach dem anderen warfen sie die Bündel in die Tiefe.
»Mehr! Mehr!«, schrie die junge Frau, bis die Winde den Bogen verringert hatte und die Tiere, nunmehr erleichtert, die Steigung erklimmen konnten, sodass alle das andere Ufer erreichten.
Dort gönnte Umina jedoch niemandem auch nur einen Augenblick Ruhe. Sie wusste genau, dass die Gefahr noch nicht überstanden war, und half Qaytu, die gerettete Last auf alle Maultiere zu verteilen. Noch galt es, den Canyon hinaufzuziehen, den der Fluss gebildet hatte.
Blickte man nach oben, so war die steile Zickzacklinie zu erkennen, in der sich der Camino Real mühsam die Felsen entlang nach oben wand.
Er war sehr uneben, und da er auch noch ziemlich schmal war, kam man nur schwer voran. Durch die Steinschläge war
Weitere Kostenlose Bücher