Quipu
dieser Schuft dir etwas angetan?«
|325| Sie zuckte zusammen. »Nein.«
»Was ist zwischen dir und ihm?«, wollte Sebastián wissen.
»Jetzt nicht«, bat sie ihn. »Wir müssen unbedingt den Apurímac überqueren, ehe Carvajal und Montilla ihren Marsch fortsetzen. Sonst können wir uns nicht einmal gegen ihre Anschuldigungen verteidigen.«
|326| Die Brücke
D ie Maultiertreiber warteten in einem der
tambos
entlang des Camino Real auf sie, bereit, den Aufstieg nach Curahuasi anzugehen. Dort wollten sie übernachten und die gefürchtete Überquerung des Río Apurímac vorbereiten,bei deren bloßer Erwähnung alle die Stimme senkten.
Ohne ein Wort hatte Umina das Kommando über den Zug übernommen. Qaytu wirkte sehr verhalten und richtete seine Aufmerksamkeit ganz auf die kleinen Probleme der Maultiertreiber, Tiere und Lasten; er fühlte sich fehl am Platz, seit zwischen Sebastián und Umina eine so große Vertrautheit herrschte.
Als die Mestizin den Ingenieur verband, hatte dieser versucht, noch einmal auf ihre Beziehung zu Carvajal zurückzukommen, der Blick der jungen Frau hatte ihn dann jedoch zum Schweigen gebracht. Kaum waren seine Wunden versorgt, wühlte er aber in den Satteltaschen nach dem Spiegel aus Obsidian, den Zúñiga ihm in Lima anvertraut hatte.
Voller Dankbarkeit drückte die Mestizin den geliebten Gegenstand an ihre Brust.
»Irgendwann werde ich es dir erzählen … Lass mir etwas Zeit«, versprach sie Sebastián mit feuchten Augen.
In Curahuasi, einem kleinen Dorf, umgeben von Bergen, die einem beim Aufstieg zu der Hochebene den Atem raubten, machten sie halt und verhandelten mit dem Wirt des Tambos über Essen und Unterkunft. Er bestätigte ihnen, dass die Brücke ziemlich baufällig sei und man sie sperren wolle.
|327| »Aber vor Kurzem sind doch noch ein paar Soldaten darübergegangen, oder?«, fragte Sebastián.
»Ja, schon«, antwortete der Wirt.
»Dann schaffen wir das auch«, versicherte Umina energisch.
Am nächsten Morgen war alles in einen silbernen Nebel getaucht, der sich über sie legte, als sie vor Kälte zitternd aufbrachen. Es dauerte lange, bis die Schwaden sich aufgelöst hatten und die Sonne sich in den dicken Tautropfen der Gräser spiegelte. Als der Himmel endlich klar war, erblickten sie zu ihrer Linken die stattlichen Gletscher Soray und Salcantay.
Der Maultierzug hatte bereits viele Hängebrücken überquert, unter sich die reißenden Wildwasser,doch keine war so eindrucksvoll und gefährlich gewesen wie die über den Fluss Apurímac. Eine fast ehrerbietige Furcht schien die Herzen der Indios zu erfassen, als sie sie vor sich sahen. Und das war kein Aberglaube. Wie eine riesige Hängematte spannte sich der Steg über das Wasser. Die Brücke schien ähnlich konstruiert zu sein wie die zu Zeiten der Inkas, zeigte sich an ihr doch der großartige Umgang mit dem, was die Natur ihnen zur Überwindung ihrer Hindernisse bot. Mangels Holzes war die Brücke aus den fleischigen Fasern der Agave hergestellt. Diese waren geschickt zu äußerst dicken Seilen gedreht worden und an dicken Uferpfeilern befestigt. Dort wurde dann eine Winde angesetzt, mit der sie gestrafft wurden.
Sebastián hatte eine solche Konstruktion bereits gesehen, als sie den Pampas zwischen Ocros und Uripe überquerten. Die Brücke über den reißenden Apurímac war jedoch fast dreimal so lang,und sie erstreckte sich über einen Abgrund, der einem Angst einjagte. Von einem Ufer zum anderen waren drei dicke Seile gespannt, die den Brückenboden trugen, der aus einem leichteren Material bestand. Weiter oben kamen dann zwei Zugriemen hinzu, die mit Lianen oder Lederbändern mit dem Brückenboden verbunden waren; mit diesen sollte nicht nur übermäßiges Schaukeln verhindert werden, sondern sie dienten auch als Geländer, an dem man sich festhalten und die Reittiere beruhigen konnte, die die Brücke mit der kompletten Last auf dem Rücken überqueren mussten.
|328| Qaytu hatte gut daran getan, die Route so zu berechnen, dass sie in den ersten Morgenstunden an die Brücke gelangten. Es war der beste Zeitpunkt, sie zu überqueren, da danach heftige Winde aufkamen, die, in dem engen Tal gefangen, über die Brücke peitschten, sodass sie gefährlich schwankte und es häufig zu Unfällen kam.
Der Pfad endete in einer engen Schlucht vor der Hütte des Brückenwarts und der Winde zum Spannen der Seile. Vor ihnen stürzten zerklüftete Felsen senkrecht die dunkle Klamm hinab, aus der wild schäumendes
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