Quipu
versuchte, daran hatte denken müssen, wie sie vor seinen Augen seine Zunge verschlang. Der Indio versetzte der Dogge schließlich einen so ungeheuerlichen Schlag, dass er nicht nur ihre Wirbelsäule, sondern gleich den ganzen Körper entzweischlug.
Zur Salzsäule erstarrt, hatte Carvajal dem grausamen Tod seines Hundes zusehen müssen, doch als er Qaytu nun mit dem Rechen |323| auf sich losgehen sah, ergriff er die Flucht, wobei er über die Reste des verkohlten Dachbalkens stolperte. Er rappelte sich jedoch sofort wieder auf, rannte zum Fenster am Ende des Flurs und stürzte sich hinaus. Als der Maultiertreiber dort ankam, konnte er nur noch erkennen, dass Montilla und seine Männer Carvajal aufhalfen und mit ihm zum hinteren Tor flüchteten.
In diesem Augenblick war eine weitere Explosion zu vernehmen, und ein zweiter Steinhagel ging über dem brennenden Gutshaus nieder, während Sebastián mit dem Vorhängeschloss kämpfte, bis er die junge Frau befreit hatte, die sich ihm dann schluchzend in die Arme warf. Und in dieser Umarmung, zu einem einzigen, zitternden Körper verschmolzen, wären sie wohl verharrt, hätte Qaytu sie nicht zu dem Fenster gezogen, durch das er und Sebastián eingestiegen waren.
Um sie herum sprühten Funken, fielen Dächer und Schuppen in sich zusammen, in Panik geratene Maultiere galoppierten kopflos über den Hof, und kurz darauf explodierte die dritte Pulvermühle, woraufhin ein neuerlicher Steinhagel, vermischt mit Holz- und Metallsplittern, über sie niederging.
So schnell sie konnten, liefen sie mit den übrigen Indios zum vorderen Tor hinaus und hielten nicht inne, bis sich alle weit genug weg von den Flammen glaubten.
Sebastián wollte Qaytu schon nach seiner Familie fragen, als er gewahr wurde, dass der Maultiertreiber ein gutes Stück zurückgeblieben war und von dort auf die rauchenden Überreste der Manufaktur blickte. Sein breiter Körper, der sich gegen das Feuer abzeichnete, schien wie gelähmt. Sein kupferfarbenes, archaisches Profil, die blauschwarz schimmernden Wangen wirkten im Gegenlicht noch düsterer. Seine feuchten Augen spiegelten die Flammen wider. Er schien von widersprüchlichen Gefühlen beherrscht zu sein. Was mag in ihm wohl vorgehen?, fragte sich Sebastián. Wie viele Indios hatte er gewiss oftmals das Ende dieses Alptraums herbeigesehnt. Vielleicht musste er aber auch an die Zeit davor denken, als er hier alles erlernte. In den rauchenden Trümmern lagen nun all seine Hoffnungen begraben, sein halbes Leben.
|324| Doch schließlich konnte Qaytu sich losreißen, und Sebastián sah, wie er zu seinen Eltern ging und sie weinend umarmte.
Erst als er sich beruhigt hatte, gesellten sich auch Umina und Sebastián hinzu. Da erst wurde die Familie des Maultiertreibers auf den Ingenieur aufmerksam. Noch ehe die Mestizin ihn vorstellen konnte, trat Qaytus Vater auf Sebastián zu und musterte ihn.
»Sein Gesicht kommt mir bekannt vor«, sagte er zu Umina.
»Vielleicht erinnere ich Sie an jemanden«, erwiderte Sebastián, nachdem sie es ihm übersetzt hatte. »Man hat mir gesagt, ich sähe José Gabriel Condorcanqui ähnlich.«
»Nein, das ist es nicht«, erwiderte Qaytus Vater. »Ich habe zwar von diesem Mann gehört, aber gesehen habe ich ihn noch nie.«
Die Antwort verwirrte Sebastián sehr. Hatte er doch nach dem, was ihm Oberrichter Ampuero in Lima gesagt hatte, angenommen, man würde ihn mit dem Kaziken verwechseln. Doch nun stellte sich heraus, dass selbst die, die Condorcanqui nicht kannten, ihn mit irgendjemandem in Verbindung zu bringen schienen.
Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis Umina schließlich zum Aufbruch drängte. Qaytu sagte seinen Eltern und seinem Bruder Lebewohl. Sie würden nun in ihre Heimat zurückkehren. Umina wusste, dass sie mit Leuten aus dem Gebirge weiter im Norden Kontakt hatten. Und sie bat sie, diese über die Vorfälle zu unterrichten. Denn Carvajal würde bald wieder erstarken und Rache suchen.
Kaum waren sie unterwegs, berichtete der Ingenieur ihr dann alles Vorgefallene.
»Das ist eine dumme Sache«, meinte Umina besorgt. »Gálvez wird in Cuzco berichten, was in Abancay passiert ist und dass Condorcanqui euch geholfen hat. Und sobald man von dem Angriff auf die Manufaktur erfährt, wird man dich und Qaytu damit in Verbindung bringen.«
Ganz selbstverständlich war Umina dazu übergegangen, ihn zu duzen, worauf Sebastián es ihr gleichtat.
»Ja, aber Carvajal wird für deine Entführung geradestehen müssen. Hat
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