Quipu
ich fürchte, es wird keinen besseren geben. Sei jedenfalls gewarnt: Halb Madrid spricht schon von deinem Duell mit dem Marqués de Montilla …« Er machte eine bedeutsame Pause. »Offiziell wissen wir allerdings nichts davon.«
»Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Señor.«
»Dank mir nicht. Mich hätte der Gedanke, Montilla verklagen zu müssen, nicht gerade glücklich gemacht. Er hat einfach zu viele Beziehungen. Und auch du solltest das nicht vergessen und künftig besser aufpassen. Deine Lage ist äußerst heikel. Ein weiterer Fauxpas – und ich weiß nicht, ob ich dir noch einmal helfen kann.«
Auf dem Heimweg sann Sebastián viel über Boncalcios Worte nach. Dabei fiel ihm unweigerlich sein Onkel wieder ein. Er musste äußerste Vorsicht walten lassen, wenn er ihn aufsuchte.
Eine Stunde später ließ er deshalb sein Pferd auf dem Hof der Spelunke stehen, deren Wirt er einen Korb voll Proviant abgekauft hatte, und machte sich zu Fuß auf den Weg zum alten Seilspeicher der Familie.
Das Stadtviertel Lavapiés machte seinem Namen gerade alle Ehre. Nach dem soeben niedergegangenen Platzregen rann das Wasser in breiten Bächen von der höher gelegenen Calle de Atocha die schmalen Gassen hinunter, sodass man kaum trockenen Fußes blieb. In diesem Häuserlabyrinth würde er mögliche |45| Verfolger leicht abschütteln können. Sobald er das Gefühl hätte, jemand schlug dieselbe Richtung ein wie er, würde er einen Umweg machen, bis er sicher wäre, dass ihm niemand folgte.
Unten am Ufer des Manzanares schlenderte er darum auch zunächst eine Weile um die alten Lagerhallen herum, so als würde er sich nur die Beine vertreten. Erst als er sich ganz sicher war, dass keine Menschenseele in der Nähe war, huschte er zur Hintertür ihres alten Seilspeichers.
Im Keller schlugen ihm Feuchtigkeit und Modergeruch entgegen. Er reichte dem Onkel die neuen Decken.
Álvaro de Fonseca sah schlecht aus, was nicht nur der neuen Unterkunft zuzuschreiben war.
»Ich habe kaum geschlafen«, gestand er.
Der Jesuit war völlig verschreckt. Seine ganze Selbstsicherheit, sein Hochmut, die ihm einst in den Augen des kleinen Sebastián eine unumstrittene Autorität verliehen hatten, waren verschwunden. Die Widrigkeiten des Lebens hatten ihn demütig, wenn nicht gar unterwürfig werden lassen.
»Wenn sie mich finden, werden sie mich nicht lange foltern müssen«, klagte er. »Ich habe nicht den Mut deines Vaters, Sebastián. Als ich in eurem Palais lebendig begraben war, hätte es mir nichts ausgemacht zu sterben. Aber jetzt, da ich wieder frische Luft geatmet habe, wenn auch nur auf dem Weg zu diesem Keller hier, habe ich eine Heidenangst davor.«
»Beruhigen Sie sich, Onkel, man wird Sie hier nicht finden. Essen Sie erst mal etwas, das wird Ihnen neuen Mut geben.«
Sebastián packte den Korb aus, die Servietten, den Laib Brot, das Brathähnchen, die Flasche Wein, und während der wortkarge Jesuit dem Essen zusprach, erzählte er ihm von der Beerdigung, wer alles gekommen war und welche Wirkung seine Grabrede gehabt hatte.
»Darf ich das Blatt mit der Rede zur Erinnerung behalten?«
»Es sei dein«, erwiderte der alte Mann, auf dessen Gesicht sich erstmals wieder ein flüchtiges Lächeln zeigte.
»Und darf ich Sie noch etwas fragen, Onkel?«
|46| »Nur zu.«
»Mir geht dieses Wort ›Quipu‹ nicht aus dem Sinn, das ich auf dem Zettel in der abgehackten Hand meines Vaters gefunden habe. Sie sagten, es bedeutet ›Knoten‹ auf Quechua, und Letzteres wiederum ›Strick‹. Haben wir Fonsecas nicht einen Strick mit einem Knoten in unserem Wappen geführt?«
»So ist es«, bestätigte Álvaro de Fonseca und nahm einen großen Schluck Wein.
»Ich erinnere mich, dass man es früher von der Straße aus gut sehen konnte. Es hing über dem Eingangsportal.«
»Das stimmt. Soweit ich weiß, hat deine Mutter es abnehmen lassen,als Karl III. den Fonsecas den Adelstitel entzog. Wahrscheinlich liegt es noch irgendwo im Hof eures Palais herum.«
»Und was stellt der Knoten dar?«
»Offensichtlich sollte dieses Wappenbild den gordischen Knoten repräsentieren. Du weißt ja, es hieß, derjenige, dem es gelinge, ihn zu lösen, werde Herrscher über ganz Asien. Auch Alexander der Große versuchte es. Vergebens. Da hieb er ihn einfach mit seinem Schwert durch.«
»Und wann wurde der Knoten in unser Familienwappen eingefügt?«
»Im Jahre 1573. Dem Jahr des Schwarzen Schiffes.«
»Das Schwarze Schiff?«, fragte
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