Quipu
sich nach dreizehn Jahren eingeschlossen im alten Weinkeller aus dem Haus zu trauen.
»Also gut«, sagte der Jesuit schließlich und erhob sich schwerfällig. »Vorher muss ich dir jedoch noch etwas geben.«
Er stieg hinunter in sein Versteck. Wenig später kam er mit ein paar Habseligkeiten zurück und reichte Sebastián eine in Leder gebundene Handschrift.
»Was ist das?«
»Eine äußerst wertvolle Chronik aus dem sechzehnten Jahrhundert. Versteck sie gut. Ich fürchte, das ist es, was Juans Mörder gesucht hat. Ihr Verfasser ist ein gewisser Diego de Acuña, der 1572 beim Feldzug gegen die aufständischen Inkas von Vilcabamba als Schreiber dabei war und der auch die Ergreifung und Hinrichtung Túpac Amarus miterlebt hat, mit dem das Inkageschlecht zu Ende ging. Wenn jemand um den Schatz der Inkas weiß, dann er.«
»Und wie ist diese Chronik in Ihren Besitz gelangt?«
»Über einen unserer Vorfahren. Den Jesuiten Cristóbal de Fonseca. Er hat Diego de Acuña die Quechua-Sprache gelehrt.«
»Noch ein Jesuit!«
|42| »Wir Fonsecas waren schon immer eng mit der Gemeinschaft Jesu verbunden«, erklärte Álvaro stolz, wurde gleich darauf aber wieder nachdenklich. »Das große Rätsel ist nach wie vor, wie die Inkas ihre Geheimnisse weitergeben konnten, verfügten sie doch über keine Schrift. Dein Vater glaubte, dass Acuñas Chronik den Schlüssel dazu liefert: Wahrscheinlich haben sie es mithilfe von Schnüren und Knoten getan. Dein Vater hat die Handschrift im Übrigen auch zur Bearbeitung des Theaterstücks herangezogen.«
»Der Theaterdirektor sprach in seinem letzten Monolog auf der Bühne von diesen Schnüren. Aber wie ist das möglich?«
»Das erkläre ich dir später.« Álvaro de Fonseca warf noch einen letzten Blick auf den Leichnam seines Bruders. »Armer Juan. Wie wenig Freude hat das Leben dir in deinen letzten Jahren doch beschert.«
Dann setzte er sich den Hut auf und wandte sich an seinen Neffen.
»Zeig den Bütteln auf keinen Fall den Strick, mit dem er erdrosselt wurde. Und vor allem nicht das Säckchen. Sie würden sofort vermuten, dass Jesuiten im Spiel sind.«
|43| Die Intrige
E s war kalt, doch der Himmel über Madrid war hell und wolkenlos, wie es sein Vater geliebt hatte. Sebastián de Fonseca faltete das Blatt zusammen. Die Worte, die er soeben mit traurigem Herzen verlesen hatte, waren nicht die seinen gewesen; er war nicht sehr beredt. Sein Onkel Álvaro hatte die gefühlvolle Grabrede in seinem neuen Versteck für ihn verfasst und darin ein für den Ingenieur gänzlich neues Bild des Toten gezeichnet: das des hoffnungsfrohen Mannes, der Juan de Fonseca gewesen war, ehe der Unfall ihn an den Rollstuhl gefesselt und er sich voller Verzweiflung über den Tod seiner geliebten Frau in seine Papiere und Bücher vergraben hatte. Es war ein bewegender Nachruf, in den der Jesuit all das hineingelegt hatte, was er seinem Bruder noch zu Lebzeiten gern gesagt hätte.
Sebastián ließ die Augen über die große Trauergesellschaft schweifen, die Álvaros Abschiedsgruß ebenfalls sehr berührt zu haben schien. Während der Pfarrer dem Verstorbenen den letzten Segen gab, dachte er über das traurige Schicksal seines Vaters nach, über sein Leben voller Widrigkeiten, und fragte sich, wie sehr er sich wohl in ihm getäuscht hatte. Er hatte immer geglaubt, dass Juan de Fonseca zeit seines Lebens seinem Standesdünkel verhaftet geblieben war, doch die Beerdigung strafte seine Annahme Lügen. Er hatte in den Herzen der Anwesenden, ganz gleich, ob diese zu der gebildeten Schicht oder zur Dienerschaft zählten, einen festen Platz gehabt, und das, was böse Zungen als üble Misswirtschaft abgetan hatten, war für sie nichts als Großzügigkeit gewesen.
Nach der Zeremonie sprachen sie ihm dann auch einer nach |44| dem anderen ihr Beileid aus. Trotz ihrer hohen Stellung wartete das Ehepaar Boncalcio bis zuletzt und er war ihnen dankbar dafür.
»Pass gut auf dich auf«, bat Frasquita ihn liebevoll wie immer.
Und auch Boncalcio schien besorgt zu sein, obgleich sich Sebastián nicht des Eindrucks erwehren konnte, dass er ihm mit einem gewissen Argwohn begegnete. Aber er musste Onkel Álvaros Versteck geheim halten. So eng die Freundschaft zwischen den beiden Familien auch war: Beide Seiten wussten, dass man bestimmte Dinge besser für sich behielt, zu viele Interessen waren im Spiel.
»Es mag vielleicht nicht der passendste Augenblick sein«, sagte Boncalcio schließlich mit ernster Miene, »aber
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