Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
Vom Netzwerk:
Zeichen, sich wie |347| sie unter die Besucher des Trauergottesdienstes zu mischen, der gerade zu Ende ging. Die meisten waren Indios. Vielleicht wurden sie deshalb am Hauptportal von einer Truppe stark bewaffneter Soldaten kontrolliert.
    »Wir müssen durch dieses Spalier hindurch«, flüsterte sie ihm zu. »Und rate mal, wer das Kommando hat   …«
    Sebastián blickte in die von ihr angedeutete Richtung und wurde blass.
    »Carvajal und Montilla!«
    »Es ist also ihre Truppe, die auf den Terrassen lagert«, flüsterte die junge Frau bekümmert.
    Um die Kirche abschließen zu können, trieb ein Mönch die Trauernden nun zum Ausgang. Schnell begann Umina mit einem Indiopaar neben sich zu tuscheln. Sebastián beobachtete sie nervös. Seine Sorge wuchs, je näher sie dem Kirchenportal kamen. Und die beiden Einheimischen wirkten nicht weniger beunruhigt. Bis Umina ihnen ein paar Münzen zusteckte, woraufhin sie sich die Umhänge vom Leibe rissen.
    »Los, zieh das über«, zischte Umina und reichte dem verblüfften Sebastián den des Mannes und dann die brennende Altarkerze, die der Indio in der Hand gehalten hatte. »Und dann mach deinen Zopf auf und senk den Kopf.«
    Und nachdem sie sich selbst den Schleier der Indiofrau übergeworfen hatte, brach sie in so herzzerreißendes Schluchzen aus, dass man sie für die Witwe des Toten hätte halten können. Und so bewegte Umina sich unter den Indiofrauen vorwärts, die sich die Haare rauften, jämmerlich weinten und zutiefst anrührende Klagen ausstießen, während Sebastián wie die Männer gesenkten Kopfes mit der Kerze in der Hand einherschritt, an Carvajal und Montilla vorbei, die sich gerade wegen irgendetwas in die Haare geraten waren und deshalb nicht mehr sonderlich auf den Tauerzug achteten.
    Erst als das Kloster außer Sicht war und die Sargträger eine Brücke überquerten, lösten sie sich aus dem Leichenzug.
    Sie waren nicht die Einzigen. Die meisten Frauen trockneten |348| sich die Tränen und umringten dann einen schwarz gekleideten Mann, der jeder von ihnen eine Münze gab, wonach sie sich lachend und lärmend entfernten.
    Sebastián schüttelte verwundert den Kopf. »Was machen sie?«
    »Sie suchen sich einen neuen Toten, den sie dann auf dieselbe untröstliche Weise beweinen können. Das sind Klageweiber.«
    »Und was machen wir?«
    »Wir gehen nach Hause. Ich sehe keine Möglichkeit, in die Krypta zu gelangen. Schon gar nicht, wenn Carvajal mit seiner Truppe neben dem Kloster lagert. Ich fürchte, er und Montilla sind dem Schatz bereits auf der Spur. Er hat sicher die Genehmigung, das Grab zu öffnen. Wir nicht.«

|349| Tahuantinsuyu
    A ls Umina mit Sebastián ins Schlangenhaus zurückkehrte, kam ihnen Uyán schon entgegen.
    »Der
quipucamayo
ist da!«
    Die junge Mestizin war überrascht. Sie kannte den Mann, doch nicht von dieser Seite, die er offensichtlich streng geheim hielt. Der noch rüstige Indio war trotz seiner ausgeprägt indianischen Züge nach spanischer Mode gekleidet. Er hatte einen wachen Blick und Verstand, und sein Benehmen und seine Sprache ließen auf einen gebildeten Menschen schließen. Und das nicht nur in Bezug auf die Inkas oder Gebräuche seines Volkes: Er wusste auch über die Errungenschaften der Aufklärung Bescheid.
    Uminas Mutter stellte ihn Sebastián vor. »Chimpu ist Silberschmied und Antiquitätenhändler. Er hat mir viele dieser Dinge hier beschafft«, erklärte sie und deutete auf die Wandteppiche und Möbel, die das Haus zierten.
    »Uyán sagte mir, Ihr Quipu sei ein ganz besonderes Exemplar«, sagte der Alte und musterte den Ingenieur, dem ein gewisses Misstrauen anzumerken war. »Sind Sie überrascht, dass ich nicht mit Federn und Glasperlen geschmückt bin?«
    »Um Himmels willen, nein«, entschuldigte sich Sebastián verlegen. »Ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich diesen Eindruck erweckt habe. Es ist nur   … Ich verstehe noch immer nicht, wie man mit ein paar Knotenschnüren etwas festhalten kann.«
    »Einige alte Völker schrieben auf Ton, andere auf Rinde, Tierhäuten oder Papier, und einige benutzten dazu Steine. Warum sollte man sich nicht auch mit Schnüren das Wesentliche weitergeben |350| können? Gewebe lassen sich leicht transportieren, sind reißfest, wiegen kaum etwas und sind zudem aus Materialien gefertigt, die man zur Hand hat, Baumwolle oder Wolle. Und man braucht keinerlei Hilfsmittel, weder Stichel noch Feder oder gar Tinte. Nur die Hände. Aber vor allem passt diese ›Knotenschrift‹

Weitere Kostenlose Bücher