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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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ein riesiges, über das ganze Land ausgebreitetes Quipu?«, fragte Umina.
    »Richtig. Die
huacas
entsprechen den Knoten und die
ceques
den Schnüren dieses Quipus. Anfangs waren die Inkas ja nur eine Minderheit. Die besiegten Stämme sollten sich dann aber in ihr Reich eingliedern. Sie sollten sich einerseits mit ihrer Heimat verwurzelt fühlen und sich ihre eigenen
huacas
bewahren, wo sich die Mumien ihrer Vorfahren befanden, andererseits sollten sie aber auch die neue Ordnung der Sieger verehren mit ihrem Mittelpunkt Cuzco und im Besonderen den höchsten
huaca,
den Coricancha mit dem Punchao, der aufgehenden Sonne.«
    »Und die
ceques
drückten diese Verbindung aus.«
    »Ja, sie veranschaulichten, dass sie alle demselben Gott huldigten, der Sonne. Und der Inka, der sich ›Sohn der Sonne‹ nannte, verstärkte diese Bande, indem er die Töchter der unterworfenen Stammesführer zu seinen Zweitfrauen machte. Deshalb ist dies hier auch ein
Yahuar Quipu,
ein ›Blutknoten‹, weil er diese genealogischen Verbindungen wiedergibt. Diese Politik der Verbindungen |355| und Treueverpflichtungen lässt sich auch an der Gestaltung der Stadt und ihrer Stadtteile ablesen. Cuzco war wie ein Modell des gesamten Reiches, und wie das
Tahuantinsuyu
war die Stadt in vier Bezirke eingeteilt, und ebenso viele Wege führten in die vier Himmelsrichtungen. Im Nordwesten lag
Chinchaysuyu
mit der zweitgrößten Stadt des Reiches, Quito, im Südwesten
Cuntisuyu,
das sich bis hinunter zur Küste erstreckte, im Südosten
Coyasuyu,
das bis zum Titicacasee reichte, und im Nordosten, im Urwald,
Antisuyu

    Chimpu räusperte sich und strich andächtig über die Schnüre.
    »Die dreihundertachtundzwanzig Knoten hier entsprachen den wichtigsten
huacas,
den bedeutsamsten heiligen Stätten des Reiches. Die spanischen Missionare haben viele davon vernichtet, weil die Indios sie verehrten. Andere wurden geplündert, weil man dort Opfer darzubringen pflegte.«
    »Dann kann dieses Quipu also tatsächlich wie eine Landkarte gelesen werden?« Sebastián konnte es nicht glauben.
    »So ist es. Die heiligen Orte unterstanden den einzelnen Stämmen. So blieben deren Rechte über das Land und die Bewässerungsanlagen gewahrt. Sie haben doch bestimmt schon gesehen, was für eine ungeheure Arbeit es ist, diese Terrassen und Bewässerungsgräben anzulegen. Dadurch, dass man in diesen
huacas
die Mumien der Vorfahren verehrte, wurden diese Stätten zu einer Art Landtitel für die einzelnen Stämme.«
    Wie jemand, der einen Rosenkranz betet, ließ der Alte nun die Knotenschnüre durch seine Finger gleiten und murmelte dabei eine Reihe von Namen in Quechua.
    »Kannst du unsere Liste mit den
huacas
holen?«, bat Umina Sebastián.
    »Es gibt eine Liste?«, wunderte sich Chimpu. »Wo habt ihr die her?«
    »Aus dem Archiv der Jesuiten in Lima«, erklärte der Ingenieur und stand auf.
    Als er mit den drei Blättern der Chronik zurückkam, zählte der
quipucamayo,
an den Schnüren und Knoten des roten Quipus |356| entlangfahrend, weitere Namen auf Quechua auf, die Umina mit denen verglich,die Sírax Diego de Acuña diktiert hatte: Sie stimmten Punkt für Punkt miteinander überein.
    Da verstand Sebastián endlich, was sein Vater ihm mit seinem seltsamen »Detektivtisch« mitzuteilen versucht hatte. Dieses Quipu war der Schlüssel, der das
Textile
der Schnüre und Knoten mit dem
Text
der Chronik und den
tektonischen
Gegebenheiten, den
ceques
und
huacas,
und den dort lebenden Stämmen verband. So war dieses Quipu gleichzeitig Landkarte und Stammbaum, eine doppelte Raum-Zeit-Koordinate. Eine Knotenschnur des Blutes. Geographie und Geschichte des Reiches.
    Umina holte ihn in die Realität zurück.
    »Im besten Fall zeigt dieses Quipu uns also eine Karte zu Zeiten Vilcabambas und der Chronik Diego de Acuñas. Doch kennen wir weder die Ausrichtung dieser Landkarte noch die Route, der man folgen müsste, um die Verlorene Stadt zu finden.«
    »Ich fürchte, das, was uns dazu noch fehlt, befindet sich in Sírax’ Grab, in der Krypta des Klosters Santo Domingo«, mutmaßte Sebastián.
    »Und wie sollen wir da hineinkommen, wenn Carvajal und Montilla direkt daneben lagern?«
    Da mischte sich Uyán ein, die der Unterhaltung bisher schweigend und mit unbeweglichem Gesicht gefolgt war.
    »Es gibt eine Möglichkeit«, sagte sie. »Sie wird zwar nicht einfach sein. Aber es gibt sie.«

|357| Prozesse
    I ch will euch eine kurze Geschichte erzählen«, begann Uminas Mutter. »Sie handelt

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