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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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hervorragend in das Reich der Inkas. Sie dürfen nicht vergessen, dass
quechua,
der Name unserer Sprache, ›Schnur‹ bedeutet. Wenn wir sprechen, ist es so, als würden wir Worte zu einem Ganzen weben.«
    »Das heißt also, wenn man zu Zeiten der Inkas etwas festhalten wollte, so hat man dies mit einem Quipu getan.«
    »Ohne Zweifel«, erwiderte Chimpu. »Ein so riesiges Reich wie das der Inkas, mit Tausenden von Bewohnern, benötigte eine wirkungsvolle Organisation. Das konnte aber nur gelingen, wenn der Inkaadel genau Bescheid wusste über die Bedürfnisse und Vorräte des Landes, welche in den Quipus festgehalten wurden. Machte der
quipucamayo
eines Ortes eine Bestandsaufnahme, so musste er eine Kopie davon aufbewahren und eine andere seinem Vorgesetzten übergeben. In diesen Schnüren wurde das Land Tag für Tag neu gewebt. Wie ein Wandteppich, dessen Muster sich ständig veränderte.
    Aber es war noch mehr. Über das Weben und die Stoffe wurde den Indios von Kindesbeinen an die Ordnung und Hierarchie ihres Lebensraumes vermittelt, die Wertvorstellungen und die Moral. So, wie jeder Faden mit dem danebenliegenden verknüpft war, erlernten sie die Notwendigkeit des Gleichgewichts der Gegensätze, das für alle Bereiche ihres Lebens so bedeutsam war. Die Quipus brachten das soziale Miteinander sehr viel deutlicher zum Ausdruck als die lineare Anordnung von Schriftzeichen. Sie vermittelten diese offene, gemeinschaftliche Art des Erarbeitens von Lösungen, des Verteilens von Aufgaben und des Knüpfens von sozialen Netzen.
    Genau dies beabsichtigte Huayna Cápac auch mit der goldenen Kette, die er zur Geburt seines Sohnes Huáscar schmieden ließ. Das Gold, ›Schweißperlen der Sonne‹, wie sie es nannten, verlieh |351| diesem alles verbindenden Prinzip einen hohen Symbolgehalt. Und auch in den Hängebrücken ist die Bedeutung des Knüpfens ersichtlich. Oder im System der Bewässerungskanäle. Auf diese Weise wurden die Knotenschnüre zum Rückgrat der Gemeinschaft. Die Tragödie der Eroberung war, dass die Spanier dies nicht verstanden«, erklärte der
quipucamayo
.
    »Weil sie die Quipus vernichtet haben?«
    »Ich will damit sagen, dass von Anfang an die Schrift zwischen den Inkas und den Spaniern stand. Kennen Sie die Geschichte vom ersten Zusammenstoß der Inkas mit den Spaniern in Cajamarca im Jahre 1532?«
    »Nur vage.«
    »Ein mit Pizarro reisender Dominikaner forderte die Indios auf, den spanischen König als ihren Herrscher anzuerkennen, da Gott ihm das Recht über ihr Land übertragen habe. Atahualpa zeigte sich überrascht über diese göttlichen Pläne für sein Reich und bat den Mönch, ihm zu zeigen, wo diese Lehren festgehalten waren. Da reichte der Dominikaner ihm seine Bibel und versicherte ihm, sie enthalte das Wort Gottes. Der Inka hielt sich das Buch ans Ohr, doch als er nichts hörte, warf er es entzürnt zu Boden, weil er glaubte, man wollte sich über ihn lustig machen. Die Spanier deuteten dies als Gotteslästerung, worauf sie ein großes Blutbad unter den Indios anrichteten und Atahualpa gefangen nahmen.«
    Sebastián wollte schon etwas erwidern, doch Chimpu gab ihm zu verstehen, dass die Geschichte noch weiterging.
    »Atahualpa war indes nicht auf den Kopf gefallen. Als er sah, welch große Bedeutung die seltsamen krakeligen Zeichen für die Konquistadoren hatten, bat er einen von Pizarros Soldaten, ihm den Namen Gottes auf seinen Fingernagel zu schreiben, den er anschließend verschiedenen Spaniern zeigte. Zu seiner Überraschung sprachen ihn alle auf dieselbe Weise aus. Doch als er ihn Francisco Pizarro hinhielt, blieb dieser stumm. Woraus Atahualpa schloss, dass er nicht lesen konnte. Da begann er den Anführer der Eroberer zu verachten, weil dieser weniger gebildet war als seine Soldaten. Pizarro, der diese Geringschätzung spürte, verzieh ihm |352| dies nie. Und in diesem Groll sehen viele den wahren Grund für Atahualpas Hinrichtung.«
    »Ich glaube, ich weiß, worauf Sie hinauswollen«, sagte Sebastián. »Aber sagen Sie mir: Was wurde mit den Quipus aufgezeichnet?«
    »Alles: die Lagerbestände, die Tribute, die Anzahl der Tiere und Bewohner, das Getreide, die Äcker   … einfach alles.«
    Der Ingenieur wiegte skeptisch den Kopf. »Schwer zu glauben.«
    Chimpu holte ein paar Schnüre hervor, die er, wie ein Schreiber sein Schreibzeug, stets bei sich trug.
    »Nehmen wir einmal an, wir wollen sämtliche Bewohner eines bestimmten Dorfes festhalten. Eine Volkszählung. In den

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