Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
Vom Netzwerk:
Ereignisse aus der Chronik denken, die sich vor zwei Jahrhunderten zugetragen hatten.
    »Wie schade, dass ein Mann von seinen Fähigkeiten in einer entweihten Kirche begraben liegt«, sagte Umina.
    Da winkte Qaytu ungeduldig, denn er wollte ihnen zeigen, was er gefunden hatte.
    Er stand in einer Ecke der Gruft, die so vollgestopft war, dass sie fast einer Rumpelkammer glich. Der Maultiertreiber beleuchtete ein Gemälde von beträchtlicher Größe, das vollständig mit Schimmel überzogen war. Sebastián machte sich daran, diese Schimmelschicht abzuwischen. Darunter kam ein Bild zum Vorschein, |363| das dem Ingenieur wohlbekannt war: Es war jenes Motiv, das die Fonsecas zu verfolgen schien. Linker Hand war die Eheschließung von Túpac Amarus Nichte, Beatriz Clara Coya, mit Martín García de Loyola dargestellt. Und rechter Hand die der Tochter der beiden, Lorenza Ñusta, mit Juan Enríquez, dem Enkel des heiligen Franz von Borja.
    »Die Verbindung der Abstammungslinien der Inkas und der Jesuiten«, sagte Sebastián ehrfürchtig.
    »Sieh dir das an«, bemerkte Umina und deutete auf eine der Prinzessinnen. »Das Kleid sieht fast so aus wie das, das ich gestern zum Abendessen getragen habe. Es hat die
tocapus
aus der Familie meiner Mutter, diese Bordüren mit den farbigen Mustern.«
    Erneut holten die Vergangenheit und die Erinnerung sie ein. Das Gemälde drückte eine Art traurige Besessenheit aus, eine große Verzweiflung, über jenes unermüdliche Ankämpfen der Pinsel gegen das Vergessen sichtbar gemacht. Es hatte etwas sehr Bedrückendes,vor allem,wenn man an Diego de Acuñas Chronik dachte, in der ebenfalls dieses Gefühl vorherrschte.
    Sebastián wusste nur zu gut um die Fähigkeit der Jesuiten, ihre Lehren in Bilder zu fassen, damit sich diese unauslöschlich in die empfindsamen Seelen ihrer Schüler einprägten. Er selbst hatte die Technik des
Examens
und der
Bereitung des inneren Schauplatzes
erlernt. Und er praktizierte dies noch immer, wenn es darum ging, schwer fassbare Eindrücke zu ordnen. Als er noch im
Colegio Imperial
von Madrid studierte, hatte es ihn immer wieder erstaunt, dass er sich nicht einmal im Traum davon befreien konnte. Die Bilder kehrten, aus ihren Bezügen gelöst, zurück, schweiften ziellos umher und hefteten sich dann unversehens an seine geheimsten Ängste. Diese Verbindung von Bildern und Ängsten war für ihn zu einer zweiten Wirklichkeit geworden.
    Selten hatte Sebastián ein so aussagekräftiges Bild von der Vermischung zweier Völker mit ihren jeweiligen Traditionen gesehen. Trotz des ganzen Prunkes und Glanzes waren Beklemmung und Unterwerfung spürbar.
    Der
quipucamayo
riss Sebastián und Umina aus ihren Gedanken, |364| als er ihnen verkündete, was Qaytu bei seinen Erkundungen gefunden hatte.
    »Dort hinten im Gang hören die Quadersteine auf. Man sieht die Abdrücke von Spitzhacken im Lehmboden. Das ist das Werk der Spanier.«
    Sie blickten sich besorgt an.
    »Wohin mag der Gang wohl führen?«, fragte Umina.
    »Vielleicht ist es der Zugang zu dem Haupttunnel, von dem deine Mutter gesprochen hat«, mutmaßte Sebastián.
    Sie versuchten beide, Chimpu davon zu überzeugen, nun wieder nach oben zu gehen.
    »Kommt nicht infrage«, versicherte ihnen der Alte. »Ich würde es mir niemals verzeihen, diese einzigartige Gelegenheit verpasst zu haben, den Coricancha zu besichtigen. Und außerdem, wie wollt ihr ohne mich verstehen, was ihr dort findet?«
    Je weiter sie in die unterirdischen Gänge vordrangen, umso feuchter wurde es. Bald sahen sie Wasser durch die Wände sickern.
    »Ich glaube, das ist der Huatanay. Seine Strömung nimmt zu, wenn er an den Überresten des Coricancha vorbeifließt.«
    Der Stollen, der nun wieder aus Quadern der Inkas bestand, schien seine Worte zu bestätigen: Er wurde weiter und führte sie an eine prachtvoll gearbeitete Wand. An ihr zeigte sich die Steinmetzkunst der Inkas in ihrer Vollendung, sie zeichnete eine äußerst feine, wohlgeformte Kurve. Umina untersuchte die Steine und fuhr mit den Fingern den Umriss eines Türsturzes nach.
    »Hier ist ein Eingang«, rief sie auf einmal. »Das kann nur die Stirnseite des alten Sonnentempels sein, darüber muss die Apsis der Klosterkirche von Santo Domingo liegen.«
    Der Eingang war zugemauert, sodass Sebastián und Qaytu die mitgebrachten Spitzhacken zur Hand nehmen mussten, um diese erste Hürde zu beseitigen. Hinter der ersten kam eine weitere Mauer zum Vorschein.
    Die Ungeduld ließ sie die Anstrengungen

Weitere Kostenlose Bücher