Quipu
südamerikanischen Kontinents davon ab. Die Pläne für die Unabhängigkeit sehen nämlich vor, dass derjenige an die Macht gelangt, der sich als rechtmäßiger Nachfahre der Inkas erweist. Und dieser Jemand schreckt vor nichts zurück, wobei unsere Familie seine wichtigste Fährte ist. Deswegen hat er uns im Visier.«
»Und wer steckt Ihrer Meinung nach dahinter?«
»Das entzieht sich leider meiner Kenntnis. Schon unser Vorfahr Cristóbal de Fonseca hatte zu Lebzeiten jede Menge Scherereien. Man warf ihn ins Gefängnis und seine Papiere gingen verloren, nichtsdestotrotz hat er die genaue Lage des Grabes dieser Frau nie preisgegeben. Vielleicht, weil dort aufschlussreiche Dinge zu finden sind. Möglicherweise eine Karte mit dem Weg zu der verlorenen Bergfeste Vilcabamba und dem Inkaschatz.«
»Hm, das ist durchaus denkbar. In einem Grab ist ein Geheimnis gut aufgehoben.«
»Jedenfalls gibt es in unserer Familiengeschichte irgendetwas, worüber wir nicht im Bilde sind. Und unsere Widersacher, die |57| darum wissen, nutzen dies weidlich aus. Deshalb musste ich damals für deine Adelsprobe auch Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit du überhaupt im
Colegio Imperial
studieren durftest.«
»Und deshalb hatte ich wahrscheinlich auch immer Schwierigkeiten, wenn ich beim Heer befördert werden wollte …« Sebastián seufzte und stand auf. »Ich muss jetzt leider gehen, Onkel. Haben Sie einen besonderen Wunsch, was ich Ihnen beim nächsten Mal mitbringen soll?«
Álvaro sah ihn an. Er schien mit sich zu kämpfen.
»Ich würde dich gern um etwas sehr Persönliches bitten …«, brachte er endlich stockend hervor.
»Nur zu.«
»Es hat mit meiner Reise damals nach Peru zu tun. Ich fürchte, man hat mich über den Briefwechsel mit einem meiner ehemaligen Schüler ausfindig gemacht. Ihm habe ich 1767 die Benachrichtigung über die Vertreibung der Jesuiten zukommen lassen, den Brief, den Paco einem der Matrosen anvertraut hat.«
»Und wie heißt dieser Schüler?«
»Musst du das wirklich wissen?«, fragte Álvaro widerstrebend.
An der angstvollen Stimme des Onkels erkannte der Ingenieur, dass in Lima irgendetwas vorgefallen sein musste, das noch immer wie ein Felsblock auf dem Gewissen des Jesuiten lastete. Nichtsdestotrotz nickte er.
»Sein Name ist Gil de Ondegardo. Er ist Archivar, spricht Quechua und war mir bei der Übersetzung der in dieser Sprache verfassten Schriftstücke behilflich, die ich nach Peru geschafft habe.«
»Und er lebt noch dort?«
»Ja. Als die Jesuiten vertrieben wurden, durfte er bleiben, weil er dank meiner Warnung am Tag vor der Vertreibung aus dem Orden ausgetreten ist. Jetzt aber habe ich Angst um ihn. Ich habe schon lange nichts mehr von ihm gehört, möglicherweise sind unsere Briefe abgefangen worden. Ich weiß, dass er beschlossen hatte, sämtliche Spuren seiner Vergangenheit als Jesuit zu verwischen. Deshalb habe ich auch immer an eine María de Ondegardo geschrieben, die wahrscheinlich seine Mutter ist. Absender war mein |58| Bruder Juan, um keinerlei Verdacht aufkommen zu lassen. Nun habe ich ihm diesen Brief hier geschrieben, um ihn zu warnen. Ich möchte, dass er ihm persönlich ausgehändigt wird, über Paco, so wie damals. Würdest du das für mich tun?«
»Sie können sich auf mich verlassen, Onkel. Ich werde ihn einem zuverlässigen Boten anvertrauen, der nach Cádiz reist.«
»Das wird nicht nötig sein. Vor ein paar Tagen ist Paco nach Madrid gekommen, um deinem Vater ein paar neue Seile für die Armada zu zeigen. Hast du ihn nicht auf der Beerdigung gesehen?«
»Da waren so viele Menschen … Moncho, der Majordomus, dürfte aber wissen, wo er sich einquartiert hat.«
»Bestimmt. Hast du eigentlich den Strick aufbewahrt, mit dem mein Bruder erdrosselt wurde?«
»Natürlich.«
»Du solltest ihn Paco zeigen. Keiner versteht mehr von Knoten als er.« Álvaro de Fonseca verabschiedete seinen Neffen mit einer festen Umarmung. »Sei vorsichtig, Sebastián.«
|59| Paco der Seiler
M it einem schnellen Griff seiner rechten Hand klappte der Mann das Taschenmesser auf und spannte den dicken Strick mit dem merkwürdigen, vierfach gewundenen Knoten in seiner Linken. Sorgsam strich er mit den Fingerkuppen jede einzelne Faser entlang. Seinem scharfsinnigen Blick entging nichts. Nach einer Weile sah er auf. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren. Er hielt dem Ingenieur das Seil unter die Nase.
»Hier, riechen Sie mal.«
Verwundert sah Sebastián ihn an, tat dann
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