Quipu
ihm ganz schwindlig war. Hier komme ich nicht mehr lebend heraus, dachte er, als er in der Ferne die grauenhaften Schmerzensschreie von Gefolterten vernahm. Er erschauderte. Wer immer dies geplant hatte, es war perfekt ausgedacht: Man konnte ihn sowohl des Mordes an seinem Onkel als auch des Versteckens eines Jesuiten beschuldigen.
Es dauerte nicht lange, da hörte er, wie sich schwere Schritte |65| näherten. Kurz darauf wurden die Riegel zurückgeschoben. Sie kamen ihn holen.
Erneut wurde er durch einen langen Gang geschleift.
Obwohl er nichts sah, spürte er beim Eintreten, dass links von ihm eine Feuerstelle sein musste. Man schubste ihn nach vorn, bis er gegen eine Tischkante stieß. Dem Rascheln von Blättern nach zu urteilen, saß jemand vor ihm am Tisch.
»Ich komme gleich zur Sache: Wo ist das Schriftstück?«, sagte eine dunkle Stimme.
Das Schriftstück konnte nur die Chronik sein. Doch Sebastián war auf der Hut.
»Welches Schriftstück meinen Sie?«
»Das wissen Sie ganz genau: das aus dem sechzehnten Jahrhundert, das sich in Ihrem Besitz befindet.«
Sie schienen bestens unterrichtet zu sein. Jeder Versuch, Zeit zu gewinnen, schien zwecklos. Doch er musste es zumindest versuchen.
»Ja, aber welches? Ich besitze mehrere Manuskripte aus dieser Zeit.«
Er merkte die Verunsicherung bei dem Verhörenden, hörte, wie dieser den Stuhl, auf dem er saß, leicht verschob, und kurz darauf ein undeutliches Murmeln, als beriete er sich mit jemandem. Mit jemandem, der sich bewusst im Hintergrund hielt.
Danach wandte Ersterer sich ihm erneut zu.
»Dann will ich die alle haben.«
»Dazu müssen Sie mich schon freilassen. Nur ich weiß, wo sie sich befinden.«
Diesmal musste der Mann sich nicht beraten. Offensichtlich hatte er jemandem ein Zeichen gegeben, denn nun hörte Sebastián, wie ein Blasebalg das Feuer zu seiner Linken anfachte. Augenblicklich packten ihn ein paar große, raue Hände, die ihm Umhang und Hemd vom Leib rissen und ihn dann auf eine Folterbank drückten. Er hörte, wie das Eisen von der Feuerstelle genommen wurde, und spürte kurz darauf das glühende Metall dicht an seiner Wange. Was sollte er tun? Sie würden ihn töten, |66| sobald er ihnen gestanden hätte, wo er die Chronik aufbewahrte, doch auch wenn er es nicht täte, das Ergebnis wäre dasselbe, es käme nur eine lange Folter hinzu.
»Halt, warten Sie«, stammelte er. »Geben Sie mir etwas zu schreiben.«
Da erhob sich jemand, und kurz darauf fiel die Tür ins Schloss. Wieder packten ihn die großen Hände und zerrten ihn zurück zum Tisch.
Als man ihm schließlich die Kapuze und die Handschellen abnahm, sah er sich einem ungefähr vierzigjährigen Mann gegenüber. Sein undurchdringliches Gesicht machte den Eindruck, als seien ihm solche Verhöre mehr als vertraut. Hinter Sebastián standen zwei bewaffnete Kerle, und zu seiner Linken hatte der Folterknecht die Arme vor der Brust gekreuzt. Der Raum war mit einer Laterne nur spärlich beleuchtet.
Er schrieb nicht viel, nur ein paar Zeilen, reichte das Papier seinem Gegenüber und wühlte dann in der Hosentasche, bis er einen kleinen Schlüssel fand.
»Das ist der Schlüssel für den Wandschrank in meinem Zimmer. Schicken Sie jemanden mit dieser Nachricht zum Palais der Fonsecas. Mein Majordomus wird dem Boten die gewünschte Handschrift aushändigen.«
Voller Verachtung reichte der Mann Zettel und Schlüssel an den Schreiber weiter und befahl dann, den Ingenieur fortzuschaffen.
Zurück in der Zelle, wurde Sebastián die Zeit endlos lang. Er lauschte auf das Öffnen und Schließen der Türen, suchte die Schritte im Gang zu erkennen, bis er erneut gewahr wurde, dass sie auf seine Zelle zukamen und vor seiner Tür haltmachten.
|67| Bloße Tatsachen
D er Schlüssel drehte sich im Schloss, dann sprang die Tür auf und eine Gestalt zeichnete sich vor dem erleuchteten Flur ab.
»Sebastián de Fonseca?«
Blinzelnd hielt Sebastián eine Hand vor die Augen. Er wusste nicht, wie viele Stunden seit seiner Festnahme vergangen waren, doch sein Plan war aufgegangen: Mit einer Laterne in der Hand betrat Onofre Boncalcio das Verlies, gefolgt von einem seiner Männer, dem er befahl, den Ingenieur loszuketten und sie dann allein zu lassen.
»Wie konntest du dir so sicher sein, dass der Majordomus dich verstehen würde?«
»Moncho weiß, dass Sie mir die beiden Pistolen mit den Perlmutteinlagen in meinem Wandschrank geschenkt haben, als ich zum Hauptmann befördert wurde.« Sebastián
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