Quipu
erneutem Schluchzen.
»Señor! Dieses Versprechen wird nicht einzuhalten sein«, flüsterte Cepeda ihm bestürzt ins Ohr.
Doch der Ingenieur beachtete den Einwand nicht weiter und fuhr fort: »Für diejenigen, die in Madrid bleiben wollen, wird sich eine Freundin der Familie, Doña Frasquita Boncalcio, in ihrem großen Bekanntenkreis umhören. Diejenigen, die aber bereits anderweitige Pläne haben, werde ich jetzt einzeln im Arbeitszimmer empfangen.«
Als Erste betrat seine einstige Kinderfrau das Büro. Sebastián schätzte sie sehr, weshalb er dem Verwalter den Mund verbot, als dieser die Alte ermahnte, sich kurz zu fassen. Mit Tränen in den Augen rief sie ihm die Zeiten in Erinnerung, als sie ihn noch als Kind in den Armen wiegte, und tausend Dinge mehr, und als sie schließlich erklärte, dass ihr sämtliche Knochen wehtäten und sie |92| sich zum Arbeiten schon zu alt und schwach fühle, gestand er ihr eine ordentliche Summe zu.
Bei den Übrigen erging es ihm nicht anders: Die einen wollten in ihre Heimatdörfer zurückkehren und erzählten von ihren Plänen für das Fleckchen Land, das sie mit ihren Ersparnissen erstanden hatten, den Jüngeren stand der Sinn eher nach Umzug in eine andere Stadt, nach Tapetenwechsel … Sebastián schaffte es einfach nicht, ihnen abzuschlagen, was sie sich von ihm erbaten.
»Jetzt bleiben Ihnen nicht einmal mehr dreitausend Reales. Das reicht gerade für die Reise nach Cádiz, Señor«, seufzte der Verwalter, als der Letzte die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Gebe Gott, dass es Ihnen auf Ihren Ländereien nicht ergeht wie Ihrem seligen Herrn Vater. Jedes Mal, wenn er nach Andalusien reiste, um die Pacht einzutreiben, sagte Ihre Mutter zu mir: ›Statt mit vollen Taschen zurückzukehren, werden wir hinterher wahrscheinlich abermals um ein paar Tausend Reales ärmer sein.‹«
Nachdem Antonio Cepeda gegangen war, starrte Sebastián eine Weile ratlos vor sich hin. Das alte Sprichwort hatte sich wieder einmal bewahrheitet: »Nach Wolle ging schon mancher aus und kam geschoren selbst nach Haus.« Er hatte darauf gehofft, vom Vermögen seines Vaters in der Verbannung einigermaßen anständig leben zu können, und musste nun mit Entsetzen feststellen, dass er ganz schön zur Ader gelassen worden war. Doch vielleicht hatte der Verwalter ja irgendwelche Einnahmen übersehen.
Er ging noch einmal sämtliche Belege und Rechnungen durch. Und plötzlich fiel ihm eine Bescheinigung in die Hände, die ihm die Sprache verschlug. Sie trug die Unterschrift des Feldwebels des Reiterregiments von Borbón y Montesa und bestätigte den Empfang von fünfzig Pferden. Juan de Fonseca hatte sie der Armee übereignet, und zwar keine alten Mähren, sondern ausgesuchte Zuchtfohlen mitsamt Reiterausrüstung im Wert von 100 000 Kupferreales! So hat mir mein armer Vater also den Weg geebnet, dachte Sebastián überwältigt. Diese Ausgabe musste Juan de Fonsecas knappe Geldmittel ungeheuer belastet haben, dennoch |93| hatte er dieses finanzielle Opfer gebracht, um die Stellung seines Sohnes im Heer zu verbessern. Wieder andere Abrechnungen belegten, wie kostspielig auch die Adelsprobe gewesen war, die Sebastián für seine Beförderung zum Hauptmann gebraucht hatte. Sein Vater hatte dafür eigens jemanden nach Cádiz entsandt, um mittels Taufscheinen, Heirats- und Sterbeurkunden die Ritterbürtigkeit ihrer Vorfahren belegen zu können, und zudem in ganz Spanien nach Standesgenossen suchen lassen, die unter Eid die adelige Abstammung der Fonsecas bezeugen konnten.
Warum bereitet man uns Fonsecas bloß immer so viele Schwierigkeiten?, fragte sich der Militäringenieur und stand auf. Am nächsten Morgen würden sie in aller Frühe abreisen; er musste sich dringend um sein Gepäck kümmern. Auf dem Weg nach oben hielt er im Flur kurz inne. Es duftete angenehm nach Gewürzen. Unwillkürlich musste er an seine Mutter denken, die die Dielen immer mit andalusischen Bitterorangen hatte polieren lassen, die zuvor mit Nelken und Lorbeer gespickt worden waren.
Als er zwei Stunden später im Bett lag, versuchte er mithilfe des bei den Jesuiten erlernten Examens die Ereignisse des Tages zu ordnen. Er erinnerte sich an die Maxime des heiligen Ignatius von Loyola: In Zeiten des Misstrostes soll man sich nicht umentscheiden. Das klang unter den gegebenen Umständen wie bittere Ironie. Noch bis vor wenigen Tagen hatte er ein geordnetes Leben geführt, und alles hatte auf eine steile Karriere ohne
Weitere Kostenlose Bücher