Quipu
größere Stolpersteine hingedeutet. Und auf einmal war es, als hätten sich unheilvolle Mächte gegen die Fonsecas gekehrt.
Und dennoch: In dieser Nacht ging ihm auf, dass nun ein neuer Abschnitt in seinem Leben begann und der Weg, der noch vor ihm lag, vielleicht kürzer war als der bereits zurückgelegte. Seine Eltern waren beide tot; es lag nun an ihm, das Erbe seiner Vorfahren zu bewahren; mit ein wenig Glück würde er vielleicht das eine oder andere besser machen können.
|94| Das verplombte Grab
D ie Reise nach Andalusien verlief ohne Zwischenfälle. Um nicht Banditen zum Opfer zu fallen, hatten sich Sebastián und Paco mit ihren Pferden einem Heerzug angeschlossen. Nachdem er erfahren hatte, welchen Rang der Militäringenieur bekleidete, bestand der Befehlshaber allerdings darauf, ihn nach dem anstrengenden Tagesritt immer zum Essen in sein Feldzelt zu bitten, und so kam Sebastián abends nicht dazu, sich Diego de Acuñas Handschrift zu widmen, sosehr dies ihm auch unter den Nägeln brannte: Es wäre unhöflich gewesen, der Einladung nicht nachzukommen.
Die Besitztümer der Fonsecas befanden sich westlich von Cádiz, nahe der Grenze zu Portugal. Das erste Dorf, in das Sebastián und Paco einritten, hatte schon wesentlich bessere Zeiten gesehen. Die alten Befestigungsmauern waren verfallen, und die weiß getünchten Häuser hatten sich über den ganzen Grundbesitz der Fonsecas verstreut.
»Meinst du, hier ist überhaupt viel Pachtzins zu holen?«, fragte Sebastián Paco.
»Man hat sie über Ihr Kommen unterrichtet, Señor«, erwiderte der Seiler und zuckte mit den Schultern. »Aber Sie wissen ja, wie das ist: Sobald die Leute Abgaben entrichten sollen, fangen sie an zu lamentieren.«
Kaum hatten sie die ersten Häuser hinter sich gelassen, begannen denn auch die Glocken des kleinen Klarissinnenklosters zu läuten und eine Traube rotznasiger, in Lumpen gekleideter Kinder lief hinter ihnen her zum Gasthof, vor dem sich die pachtpflichtigen |95| Bauern versammelt hatten, in der vordersten Reihe der Verwalter.
Als Sebastián vom Pferd gestiegen war, trat einer nach dem anderen vor, sprach ihm sein Beileid zum Tod seines Vaters und seines Onkels aus, packte die Gelegenheit aber auch gleich beim Schopf und überreichte ihm eine Bittschrift. Bass erstaunt fragte Sebastián den Verwalter, was das für Schreiben seien.
»Hier haben alle ihre Nöte, Señor.«
»Wie?«, entfuhr es Sebastián. »Hat man euch nicht mitgeteilt, wie es nach dem Tod meines Vaters um die Fonsecas steht?«
»Es gab eine große Dürre, Señor. Außerdem mussten wir die Weinreben mit einer Lehmmauer einfassen, damit das Vieh der Nachbarn sich nicht dorthin verirrt. Und für das Getreide war es auch kein gutes Jahr …«
»Und am Berg oben?«, unterbrach ihn Paco, der schon ahnte, was kommen würde.
»Am Borreguero sind die Erträge noch geringer. Das Gelände ist unwegsam, zudem gibt es an den Hängen kaum fruchtbaren Boden und …«
Da konnte Paco sich nicht länger beherrschen und fuhr den Verwalter heftig an. Sebastián zog ihn jedoch beiseite und bat ihn, seinen Ärger hinunterzuschlucken. Ein Blick auf die umliegenden Felder hatte ihm gezeigt, dass die Trockenheit keine Ausrede, sondern grausame Realität war.
Zum Glück kam in diesem Moment ein Junge angerannt und teilte ihnen mit, dass die Nonnen von Santa Clara sie erwarteten, sie wollten eine Totenmesse für Sebastiáns Vater und seinen Onkel singen.
Danach servierte man ihnen im Gasthof noch einen alten, zähen Hammel, und dann verabschiedeten sich Sebastián und Paco, ohne auch nur einen Real Pachtzins eingetrieben zu haben. Als sie weiterritten, wies Paco Sebastián darauf hin, dass sie an den Ländereien des Marqués de Montilla vorbeikämen. Auch ohne die Erklärungen des Seilers sprangen Sebastián die Unterschiede zu der Armut ins Auge, die sie gerade hinter sich |96| gelassen hatten. Hier bettelten ganze Familien am Wegesrand um Almosen.
»Müssen wir hier unbedingt entlangreiten? Können wir nicht einen anderen Weg nehmen?«
»Wenn Sie mit Hermógenes reden wollen, bleibt uns nichts anderes übrig«, erwiderte Paco, und als er merkte, dass seinem Herrn der Name nichts sagte, fügte er hinzu: »So heißt der Mann, nach dem Sie mich gefragt haben. Der, dem ich damals das Schreiben für dieses Schiff nach Peru anvertraute.«
In der Tat hatte Sebastián den Seiler gebeten, ihn zu dem Mann zu bringen, der 1767 die Nachricht über die bevorstehende
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