Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
Vom Netzwerk:
mitgegeben. Daher sei sie auch so versteinert gewesen, als sie es an Diegos Hals erblickt habe; bei allem, was ihm heilig sei, solle er schwören, es ihrer Tochter Sírax zurückzugeben.
    Das Quipu werde ihn zu ihr führen; sie könne ihm zwar nicht sagen, wie und wann, aber er könne sich darauf verlassen: Die »Blutschnur« finde ihren eigenen Weg.
     
    Hier endete die Erzählung der Frau. In einem Postscriptum hatte Diego de Acuña noch hinzugefügt, dass Quispi Quipu wenige Monate später an ihrem Leid zerbrochen sei. Er selbst sei bei ihrer Beerdigung gewesen. Fast tausend Indios hätten dem Sarg von Huayna Cápacs Tochter das letzte Geleit zum Kloster Santo Domingo gegeben, wo sie in der Gruft ihrer Familie in den Ruinen des Sonnentempels begraben worden sei, des heiligsten Ortes des einstigen Inkareichs.
    Was für eine traurige Geschichte, dachte Sebastián. Er klappte die Chronik zu, steckte sie zurück in den Wachstuchbeutel und |146| versteckte sie an einem sicheren Ort, den er bewusst weit entfernt von seinem Schlafplatz gewählt hatte, damit sie nicht gefunden würde, sollte er entdeckt werden.
    Nach diesen Vorkehrungen machte er sich erneut auf den Weg hoch ins Unterdeck. Sein Ziel war das Hellegatt des Schiffszimmermanns, wo laut den Matrosen, deren Unterhaltung er belauscht hatte, ein Modell des Schiffes aufbewahrt wurde, das sämtliche baulichen Veränderungen zeigte.
    Auf dem Unterdeck war niemand zu sehen. Vor der Schiebetür zur Werkstatt des Zimmermanns machte er halt, horchte kurz und schlüpfte dann hinein. Er sah sich um. An den Trennwänden waren zahlreiche Schachteln mit Nägeln, Hämmern, Sägen und anderen Werkzeugen aufgereiht. Unter der Werkbank entdeckte er schließlich das Schiffsmodell. Er zog das Leinentuch weg und ging in die Hocke, um es näher zu betrachten. Am meisten interessierte ihn am Querschnitt der »África« ein mit roter Farbe gekennzeichneter Bereich in der Nähe des Hecks. Das waren die Veränderungen, die der Zimmermann hatte vornehmen müssen, um eine der beiden Bordkaplanskabinen abzutrennen. War dort der heimlich an Bord gekommene Passagier untergebracht?, fragte er sich. Ganz bestimmt war dem so, denn es war die Kammer, wohin der Junge das Tablett mit dem Essen gebracht hatte, steuerbords im Heck befindlich.
    In diesem Augenblick vernahm er ein Geräusch. Draußen waren jetzt deutlich Schritte auf der Bugtreppe zu hören. Es war ein starkes, rhythmisches Hinken, das nun direkt auf die Kammer zukam, in der er sich befand.
    Sebastián schnappte sich ein Stemmeisen für den Fall, dass er sich verteidigen musste, schlüpfte blitzschnell unter die Werkbank und zog das über das Schiffsmodell gebreitete Leinentuch über sich.
    »Wer hat hier die Tür offen gelassen?«
    Ein Mann trat in die Kammer, stellte die Laterne auf den Tisch und blickte sich prüfend um. Der Vertrautheit nach zu urteilen, mit der er dies tat, musste es der Zimmermann selbst sein.
    |147| Der unter der Werkbank kauernde Ingenieur hob das Tuch ein wenig hoch. Der Mann hatte nur ein Bein, das zweite war ein Stelzfuß. Nun nahm er seine Laterne, einen Hammer und ein paar Nägel und schickte sich an zu gehen. Doch gerade als er die Tür zuschieben wollte, tauchte die Katze auf.
    »Raus hier, Luna, ich muss zumachen.«
    Doch die Katze hörte nicht auf ihn. Sie hatte etwas gerochen. Schnurstracks lief sie auf die Werkbank zu, unter der Sebastián sich versteckt hielt. Mit der Pfote haschte sie nach dem Linnen, wobei sich ihre Krallen in dem Stoff verfingen, sodass er ins Rutschen kam und sie erschrak. Wie der Blitz sauste sie aus der Kammer – und setzte den Ingenieur dem ungläubigen Blick des Zimmermanns aus, der prompt reagierte und die Tür von außen verriegelte.

|148| Überleben an Bord
    D ie beiden Soldaten brachten ihn zur Kommandobrücke aufs Achterdeck. Mit finsterer Miene saßen Kapitän Valdés und sein zweiter Offizier, der alles mitschreiben sollte, was gesagt würde, am Tisch der Kabine. Beunruhigt stellte Sebastián fest, dass auch der Marqués de Montilla, angetan mit Zierdegen, goldener Uhr und anderem schmückenden Beiwerk, zugegen war und ihm mit süffisanter Miene entgegensah. In einer Ecke saß, ohne sich des von ihr angerichteten Unheils bewusst zu sein, die Katze unter einem Walfischwirbel und putzte sich.
    Kurz darauf erschien der Schiffszimmermann und wurde von den dreien zu dem Geschehen befragt. Geduldig antwortete er auf all ihre Fragen, doch schien er nicht gegen Sebastián

Weitere Kostenlose Bücher