Quipu
und Klöster zu errichten. Manco hatte zu fliehen versucht, aber die Konquistadoren hatten ihn zu fassen bekommen, ihn in Ketten gelegt und angefangen, ihn öffentlich zu demütigen. Er sollte ihnen verraten, wo sie ihre Schätze versteckt hätten, insbesondere |137| den Punchao, ihr goldenes Götterbild, das die aufgehende Sonne symbolisierte. Doch ihr Bruder gab sich nicht geschlagen und griff zu einer List: Während seine Generäle im ganzen Reich heimlich Krieger rekrutierten, versprach er den Spaniern, ihnen mehr Gold zu beschaffen, als sie sich vorstellen konnten – wenn er freies Geleit bekam. Besessen von ihrer Gier willigten sie ein. Doch statt mit dem Schatz der Inkas kehrte Manco mit einem mächtigen Heer zurück. Über ein Jahr belagerte er die Stadt, unternahm mehrere Durchbruchversuche. Leider gelang es ihm nicht, die Spanier vernichtend zu schlagen. Deshalb zog er sich schließlich mit seinen Getreuen an den Osthang der Anden zurück und verschanzte sich in Vilcabamba.
Die einstige Hauptstadt befand sich damit ganz in den Händen der Spanier, fuhr Quispi Quipu im selben teilnahmslosen Ton fort. Weit zurück lag jene Zeit, in der ihr Vater Herrscher über das ganze Reich gewesen war und niemand außer der königlichen Familie mit ihnen, den Prinzessinnen, Umgang pflegen durfte. Oftmals musste Quispi Quipu auf der Straße nun den Blick abwenden, wenn sie ihren Verwandten oder Spielgefährtinnen aus der Kindheit begegnete, die, um zu überleben, zu Dirnen geworden waren, und sie selbst tat alles, um ja nicht aufzufallen, wenn sie mit einem Napf und einer Kerze von Haus zu Haus ging, um eine Handvoll gerösteten Mais zu erbetteln.
Das Schicksal ihrer adligen Freundinnen blieb ihr zum Glück erspart, denn eines Tages begegnete sie bei einer Armenspeisung dem Bischof von Cuzco. Als er erfuhr, wer sie war, verfasste er eine Bittschrift an Kaiser Karl V., um sie aus ihrer Notlage zu befreien. Da der Kaiser seinem Gesuch stattgab, bekam sie die Ländereien ihrer Mutter wieder zurück. Der Prälat riet ihr, sich einen Spanier zu suchen, der keinen größeren Ehrgeiz hatte, als reich zu sein, und sie beschützen würde. Sie hielt das zunächst nicht für nötig, denn nun lebte sie wieder ihrem Stande gemäß und schöpfte neuen Lebensmut. |138| Heimlich nahm sie den Kontakt zu Manco Cápac auf, und ihr Bruder kam unerkannt von den Bergen herab, um sich mit ihr zu treffen. Und bei einer dieser Zusammenkünfte legte er ihr einen gewagten Plan dar, der ihr Leben völlig veränderte.
Kurze Zeit später hatten sich dann aber die Ereignisse überstürzt, fuhr Quispi Quipu fort. Manco Cápac wurde von ein paar Spaniern ermordet, die er empfangen hatte, um mit ihnen zu verhandeln. Ein Bote hatte ihr die schreckliche Nachricht überbracht, zusammen mit einer letzten Botschaft ihres Bruders, die genaueste Anweisungen für die Frucht ihres Leibes enthielt.
Als Diego de Acuña dies hörte,war er völlig verwirrt. Doch die Inkaprinzessin sprach tatsächlich von ihrem Kind mit Manco Cápac,heirateten die Inkaherrscher doch ihre eigenen Schwestern, um die direkte Abstammungslinie zu erhalten. Und die Botschaft ihres verstorbenen Bruders lautete, sie möge den von ihm gezeugten Sohn bei sich behalten, falls Vilcabamba eingenommen würde.
Quispi Quipu hoffte also auf einen Jungen. Doch sie gebar ein Mädchen. Anfangs war das eine böse Überraschung für sie. Dann aber erkannte sie, dass, falls Manco Cápacs Söhne sterben sollten, mit ihr das Herrschergeschlecht nicht untergehen, sondern vielmehr wiedererstehen würde wie ein neuer Punchao, wie die aufgehende Sonne. Ein Mädchen würde leichter überleben können; oft ließen die Konquistadoren die Frauen am Leben, um sie zu heiraten und so in den Besitz ihrer Ländereien zu gelangen.
Quispi Quipu schwieg einen Augenblick und sah Diego an. Sie rede kein wirres Zeug,versicherte sie ihm,sondern beantworte lediglich die Frage,die er ihr ganz zu Anfang gestellt habe: Denn ihre Tochter sei jenes junge Mädchen, das er vor Martín de Loyolas Soldaten errettet habe. Ihr Name sei Sírax, und das rote Quipu, das sich nun in Acuñas Besitz befinde, sei ihr nach dem Tod ihres Bruders mit dessen letzter Botschaft |139| überbracht worden. Es sei das
Yahuar quipu
, die »Blutschnur«, die ihre direkte Abstammung vom königlichen Hause belege und das Vermächtnis, das von einem Inka auf den anderen übergehe und das jeder den Ereignissen seiner Regierungszeit entsprechend
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