Quipu
Cuzco im Yucay-Tal gelegenen Ländereien zurück. Traditionsgemäß hatte er eine seiner Schwestern geheiratet. Bald darauf kam ihre Tochter zu Welt, deren Patin Quispi Quipu wurde. Und da sie den christlichen Namen Beatriz trug, taufte man die Erstgeborene auf denselben Namen und fortan wurde das Kind Beatriz Clara Coya genannt.
|143| Sebastián unterbrach die Lektüre. Am Rand der Chronik hatte Juan de Fonseca eine Notiz gemacht: »Beatriz Clara Coya ist die Prinzessin, die später Martín de Loyola heiratete.« Die Besetzung des Dramas war damit komplett. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sein Vater diese Geschichte in dem Theaterstück aufzeigen wollen. Sebastián nahm wieder das Blatt mit dem Stammbaum zur Hand und setzte Sayri Túpacs Tochter an die entsprechende Stelle:
Wie Quispi Quipus weiter berichtete, starb Sayri Túpac bald darauf. Sein Bruder Tito Cusi, der aus Misstrauen gegenüber den Spaniern in Vilcabamba geblieben war, beschuldigte diese, ihn vergiftet und somit den Friedensvertrag gebrochen zu haben. Als neuer Inka begann er sich erneut gegen die Konquistadoren aufzulehnen.
1569 kam mit Francisco Álvarez de Toledo dann ein Vizekönig an die Macht, der in erster Linie den Widerstandsherd Vilcabamba befrieden wollte. Dem kalten und unerbittlichen Staatsdiener war jedes Mittel recht, wenn nur dieses Bollwerk der Inkas, dessen Existenz eine Beleidigung für seine Herrschaft war, sich rasch ergäbe.
Das Leben war für Quispi Quipu damit schwieriger geworden. Ihre Vermittlung war nun entbehrlich, der neue |144| Vizekönig brauchte sie nicht mehr. Kurz darauf starb ihr Mann. Die Traube von Gläubigern, die alsbald mit gewaltigen Forderungen vor ihrer Tür stand, öffnete ihr die Augen: Sie war hintergangen worden. Er hatte ihr ganzes Vermögen verspielt und ihr große Schulden hinterlassen. Auf Anraten derer, die ihr noch wohlgesinnt waren, beschloss Quispi Quipu, sich an König Philipp II. zu wenden. Ihr Gesuch ging durch mehrere Instanzen, Papiere wurden zwischen Spanien und Peru hin- und hergeschickt, bis irgendwann die Mittel ausgeschöpft waren.
Im Gericht hieß man sie, die Prinzessin, stehend auf das Urteil warten, und dann erklärte man ihr noch einmal auf Quechua, dass ihr verstorbener Mann ihren gesamten Besitz beliehen habe, und legte ihr zum Beweis einen dieser komischen weißen Fetzen vor, auf denen die Spanier immer alles mit seltsamen schwarzen Schnörkeln festhielten und auf dem ihr Fingerabdruck zu sehen war. Noch einmal begehrte sie auf, erklärte, sie spreche kein Spanisch, könne weder lesen noch schreiben und habe nur das getan, was ihr Mann ihr befohlen habe, doch nützte es nichts: Der Alkalde verkündete, dass ihr gesamter Besitz beschlagnahmt werde, um die Gläubiger zu bezahlen.
Drei Tage lang kam der Aufrufer der Stadt und rief vor ihrem Haus die Versteigerung aus. Drei Tage lang betete er zu ihrer großen Schmach die Liste ihres Eigentums vor einer immer größer werdenden Menschenmenge herunter. Die Gebote stiegen und stiegen, und sie, die ihren schwarzen Sklaven befohlen hatte, Türen und Fenster zu verrammeln, rief ihre Verwandten um Hilfe an. Doch dann teilte ihr eine Dienerin mit, dass ihr Sohn Pedro über das Dach geflohen sei, und diese Nachricht erschütterte sie so sehr, dass sie aufgab. Das sei der Augenblick gewesen, in dem Diego sie aus dem Haus habe kommen sehen, fassungslos und gebrochen.
Die alte Frau hielt inne und sah den jungen Schreiber lange |145| an. Sie konnte ihm die Ungeduld vom Gesicht ablesen. Der Dolmetscher wollte mehr über ihre Tochter erfahren, und so fragte er nun, weshalb sie ihr den Namen Sírax gegeben habe, der auf Quechua so viel wie »Weberin« bedeute. Voll Zärtlichkeit erklärte sie, es sei nur ein Kosename, da sie in zahlreichen Handarbeiten wie Weben, Flechten und auch in der Kunst, Quipus zu knüpfen, Vollkommenheit erlangt habe. Doch noch hatte sie ihm nicht alles verraten.
Wenige Tage zuvor hatte ein Bote aus Vilcabamba ihr eine Nachricht ihres Neffen Túpac Amaru überbracht. Darin teilte dieser ihr mit, dass Tito Cusi gestorben sei und er nun der neue Inka werde. Und da er von Sírax wusste, wollte er diese an seiner Seite haben. Deshalb hatte die junge Frau nachts das Haus verlassen, um sich mit den von Túpac Amaru entsandten Indios zu treffen. Jene Nacht, in der Diego sie vor den Spaniern errettete, war der entscheidende Augenblick der Umsetzung von Manco Cápacs Plan, und deshalb hatte sie Sírax das rote Quipu
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