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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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mit der rechten Hand nach dem Anker. Dieser bewegte sich ein wenig, schien aber fest zu sein.
    Mit beiden Armen hängte er sich an den Ankerschaft und schwang mit den Füßen hin und her, um den Hosensaum zu befreien. Als es ihm schließlich gelang, drehte sich jedoch der Anker mit einem so heftigen Ruck, dass er auf einmal kurz in der Luft hing. Beinahe hätte er losgelassen.
    |166| Zu seinem Unglück waren die Wachmatrosen auf das Geräusch des Ankers aufmerksam geworden. Er hörte, wie einer nach einer Laterne rief. In seiner Not legte er sich ganz flach unter den Vorsprung und hielt den Atem an, als die Wache mit einem Bootshaken die Ankeraufhängung prüfte. Mehrmals spürte er dessen Spitze dicht über seinem Gesicht, bevor der Matrose sich endlich zufriedenzugeben schien und mit seinem Kameraden wieder gen Backbord ging. Sebastián holte ein paarmal Luft, bevor er sich weiterhangelte, in Richtung Achterdeck, wo Montilla und die Offiziere schliefen.
    Da ging plötzlich dicht neben ihm ein Licht an. Durch das Bullauge erblickte er einen Mann, der sich mit einer Laterne in der Hand zu den Offizierstoiletten aufmachte. Sebastián sah sich panisch um. Und da entdeckte er das Ruderboot, das an zwei Bootsdavits befestigt über dem Schiffsrand schwebte. Rasch kletterte er hinauf. Von hier aus konnte er überblicken, was unter ihm passierte, ohne selbst gesehen zu werden. Als der Offizier den Abort verlassen hatte und aus seinem Blickfeld verschwunden war, erblickte er ein weiteres Licht, das er zuvor nicht bemerkt hatte. Es kam genau aus der Kabine, die er suchte.
    Sebastián überlegte nicht zweimal und ließ sich an einem der beiden Taue, mit denen das Beiboot von den Davits gehalten wurde, hinunter. Unglücklicherweise verjüngte sich das erste Oberdeck jedoch nach innen, wodurch er nicht dicht genug an das Schiff herankam. Er musste also schaukeln, erst langsam, dann immer stärker, in Richtung Steuerbord, an den Ruderketten vorbei. Jedoch war der Aufprall nur schwer zu berechnen, und so knallte er mit einem dumpfen Schlag gegen die Bordwand.
    Kurz hielt er inne. Hoffentlich hatte ihn niemand gehört. Doch nichts geschah.
    Vorsichtig spähte er durch die Geschützluke, aus der die Kanone entfernt worden war, in die Kajüte. Doch nichts geschah. Endlich würde er dem Feind ins Auge blicken.
    Was er dann aber sah, verschlug ihm die Sprache.

|167| Der Spiegel aus Obsidian
    W as Sebastián am allerwenigsten an Bord erwartet hatte, war eine Frau. Doch genau das bot sich nun seinen Augen dar: In der Kabine badete genüsslich eine junge Dame. Das rechte Bein ragte wohlgeformt vom Knöchel bis zum Schenkel über den Bottich hinaus, und die Frau seifte es mit einem Schwamm ein. Das Haar hatte sie hochgesteckt, der schlanke Hals war gestreckt und die Brust hob und senkte sich im Rhythmus des energischen Reibens.
    Bezaubert vom Anblick dieses wunderschönen, zimtbraunen Körpers brauchte Sebastián ein paar Sekunden, um zu erkennen, wer sie war: Umina, die Mestizin, die er im Theater in Madrid gesehen hatte!
    Seine Überraschung war so groß, dass er nicht bemerkte, wie jemand hinter ihm aus der nächsten Geschützluke kletterte, ihn hinterrücks packte und ins Innere des Schiffes zerrte.
    Es war ihr Leibwächter, der ihm eine Hand vor den Mund presste, dass er kaum noch atmen konnte. Der Indio sprach kein einziges Wort. Das brauchte er auch nicht, denn seine Kräfte waren ungeheuerlich. Und so stieß er ihn zur Kabine der jungen Frau.
    Uminas Lächeln war keineswegs beruhigend. Er war ihr ausgeliefert, und das wusste sie. Als Erstes bemerkte er den Geruch. Ihren so angenehmen Duft, der so anders war als die Ausdünstungen der Matrosen.
    Er verfluchte sich dafür, dass sie ihn erneut so faszinierte, da dies gegen sämtliche Prinzipien verstieß, die man ihm über seine |168| Abstammung und die Reinheit des Blutes eingeimpft hatte. Aber es half nichts. Trotz der Gefahr, in der er schwebte, übte sie eine fast animalische Anziehung auf ihn aus.
    Die Mestizin hatte sich einen Bademantel übergeworfen und hielt dem überraschten Sebastián nun einen silberumrandeten Spiegel aus schwarzem, poliertem Stein vors Gesicht. Es war derselbe, den sie auch im Bad verwendet hatte. In ihm musste sie ihn erblickt haben, schließlich hatte sie ihm den Rücken zugewandt.
    Er schrak zurück, als er so unerwartet mit seinem Spiegelbild konfrontiert wurde. Er erkannte sich in diesem düster blickenden Mann, dessen Züge noch markanter wirkten

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