Quipu
Sebastián sie, »wäre die Entscheidung der spanischen Justiz vielleicht noch rechtzeitig gekommen.«
»Genau dasselbe habe ich mir auch gedacht. Da sind wir also endlich einmal einer Meinung«, erwiderte Umina mit einem kleinen Lächeln.
Dann las sie ihm weiter das Dokument vor, mit dem Quispi Quipu sämtliche Güter wieder zugesprochen wurden. Weshalb diese kleine, aus dem Schlangenhaus vertriebene Frau wieder im Besitz ihres Vermögens war, als sie auf dem Sterbebett ihr Testament |171| verfasste. Darin vermachte sie das Haus und all ihre übrigen Besitztümer ihren Erben.
»Sie werden zugeben, dass zumindest diese Vorfahrin von mir versucht hat, ihre Würde zu wahren«, schloss Umina.
»Im Gegensatz zu wem?«
»Im Gegensatz zu anderen Nachfahren der Inkas, die nach Spanien reisten, um beim König vorzusprechen, und dann in Madrid völlig über ihre Verhältnisse lebten, um die Höflinge zu beeindrucken, die ihnen keine Achtung entgegenbrachten. Philipp II. hat ihnen nichts zugestanden, und ein paar von ihnen endeten schließlich bis über beide Ohren verschuldet im Gefängnis, geplagt von der Sehnsucht nach der Heimat, wohin sie nie mehr zurückkehren konnten.«
»Das trifft aber nicht auf Quispi Quipus Nichte Beatriz Clara Coya zu, die den Neffen des heiligen Ignatius, Martín García de Loyola, geheiratet hat.«
»Nein, natürlich nicht. Die beiden hatten im Übrigen eine Tochter, Ana María Coya de Loyola, die ein ungeheures Vermögen erbte und dann in Madrid Juan de Borja heiratete, der ebenfalls sehr reich und Enkel eines weiteren Jesuitenheiligen, des heiligen Franz Xaver, war. Kennen Sie das Gemälde über die Heirat der beiden mit den Inkaprinzessinnen?«
»Ja, von einem Druck, dem sogenannten Plan des Inkas.«
»Ja, Perus christliche Monarchie, ausgeheckt von den Jesuiten. Sie rechneten nicht mit solchen Schwierigkeiten, wie sie unser Jahrhundert ihnen bringen würde. 1739 starben die Nachfahren aus der Verbindung der Loyolas und Borjas mit den Inkaprinzessinnen aus. Und 1767 wurden die Jesuiten aus Spanien und Peru vertrieben. Jedenfalls versucht derzeit jemand, diesen Plan auf andere Weise wieder aufleben zu lassen.«
Sebastián fiel es schwer, das alles so hinzunehmen, doch es passte eines zum anderen. Umina erriet seine Gedanken und gab Qaytu ein Zeichen, ihn loszulassen.
»Sie wohnen also im Schlangenhaus?«, fragte der Ingenieur vorsichtig.
|172| »Mit meiner Mutter. Sie ist die rechtmäßige Besitzerin. Ihr gehört auch die Chronik. Die Fonsecas waren lediglich ihre zeitweiligen Verwahrer.«
»Wir haben sie immerhin zwei Jahrhunderte lang verwahrt.«
»Und jetzt will ich sie wieder zurück. Deswegen war ich bei Ihrem Vater. Und deswegen habe ich ihm bei unserem Gespräch all dies offenbart. Um ihm zu beweisen, dass ich ihn nicht betrüge.«
»Sind Sie in einer Sänfte auf dieses Schiff gebracht worden?«
Umina stutzte. »Ja. Wer hat Ihnen davon erzählt?«
»Ich habe es zufällig mitbekommen. Wenn Ihre Ansprüche rechtmäßig sind, warum verstecken Sie sich dann?«
»Aus Sicherheitsgründen. Damit mir nicht das Gleiche passiert wie meinem Bruder, der vor ein paar Jahren in Lima ermordet wurde, als er sich nach Spanien einschiffen wollte.«
»Wer hat ihn umgebracht?«
»Mit Sicherheit dieselbe Person, die Ihren Vater und Ihren Onkel auf dem Gewissen hat. Jemand im Dienste der peruanischen
encomenderos
. Auch diesmal hatten sie mit Sicherheit jemanden losgeschickt, der einen Bericht verhindern soll. Sie werden nie zulassen, dass belastendes Material öffentlich gemacht wird. Am wenigsten jetzt, da ganz Peru in Aufruhr ist und zwischen zwei Vizekönigen steht. Und am schlimmsten sind die Besitzer der Manufakturen.«
»Der Manufakturen?«
»Der Tuchmanufakturen, in denen die Indios wie Sklaven behandelt werden. Schlimmer als in den Gold- und Silberminen. Das spanische Mutterland ist weit weg. Alle, die bisher versucht haben, aus erster Hand über das in Peru verübte Unrecht zu berichten, mussten sterben, ehe sie Madrid erreichten. Ich bin die Erste, die es geschafft hat, am Leben zu bleiben.«
»Vorerst.«
»Ja. Aber zumindest hat Floridablanca mich unterstützt, indem er sich mit mir in der Öffentlichkeit zeigte. Sein Vertrauensmann Boncalcio ließ verbreiten, ich bliebe in Spanien, um dort nach Dokumenten zu forschen, die meine Forderungen belegen. |173| Wenn irgendjemand erfährt, dass Qaytu und ich hier an Bord sind, ist unser Leben in großer Gefahr. Wenn Sie den
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