Quipu
Verwandtschaft mit Quispi Qipu die Kenntnis der vielen Details, die er sich durch die Chronik hatte erschließen müssen. Aber was stand noch darin, dass Umina sich so brennend dafür interessierte? Er musste herausfinden, wie die Geschichte der jungen Sírax und des Chronisten Diego de Acuña weiterging und welche weiteren Geheimnisse die Chronik enthielt.
Noch etwas beunruhigte ihn jedoch viel mehr: Wenn Umina für den Tod seines Vaters und seines Onkels nicht verantwortlich war, in wessen Auftrag hatte der Schurke im grünen Cape dann gehandelt? Wer war er? Und was bezweckte er? Wusste er wie Umina Bescheid über die Ereignisse der Vergangenheit, über das, was in der Chronik geschrieben stand? Und wo war er auf dem Schiff untergebracht? Er hatte doch beobachtet, wie sein Gepäck an Bord gebracht wurde. Am wahrscheinlichsten war, dass er mit Montilla im Heck reiste, zu dem weder er noch die Matrosen Zugang hatten. Er musste sein Gepäck ausfindig machen und herauskriegen, wer er war.
|176| Das Schachspiel
A m nächsten Tag begab Sebastián sich zu Hermógenes, um mit ihm einen Plan auszuhecken, wie er unbemerkt in den Laderaum gelangen könnte. Dabei fragte er ihn unauffällig nach dem schmalen Gang, durch den er von Uminas Kabine aus in seine Hängematte gelangt war, und erfuhr, dass er »Kampfgasse« genannt wurde. Der Zimmermann kannte sie gut. Es handelte sich um einen kleinen Wartungsgang auf Höhe des Unterdecks; bei Kampfhandlungen dichteten Hermógenes und die Kalfaterer von dort aus die Lecks ab, die die gefährlichsten Kanonenschüsse, die direkt an der Wasserlinie einschlugen, verursachten.
Der Ingenieur bat den Zimmermann, auf der Bugtreppe Wache zu schieben, während er in den Laderaum hinabstieg. Er hatte ihm nur erzählt, dass er etwas aus seinem Versteck holen müsse. Es war besser, wenn der Schiffszimmermann nichts von der Chronik erfuhr, vertrauensselig, wie er war.
Deshalb verbarg Sebastián den Wachsbeutel mit dem Manuskript unter der Kleidung, bis er sich am Nachmittag davonstahl, um Umina aufzusuchen und seinen Teil des Handels zu erfüllen.
Dank der Kampfgasse konnte er das Schiff nun durchqueren, ohne Sorge haben zu müssen, erwischt zu werden. Problemlos gelangte er in den hintersten Teil des Schiffes und stieg die Treppe an der geschwungenen Hecklinie hoch. Dabei achtete er auf sämtliche Geräusche. Schließlich vernahm er nur noch die Schritte des Leibwächters der Mestizin.
Er versuchte die Bodenklappe zu öffnen, doch sie klemmte. Deshalb schlug er mit der Faust dagegen und wartete ab. Und tatsächlich: |177| Es dauerte nicht lange, bis sie sich öffnete und das Gesicht des Indios auftauchte, der ihn fragend anblickte.
»Ich möchte zu Umina.«
Die junge Frau machte keinen Hehl aus ihrer Freude und bat Sebastián, sich zu setzen. Zum Zeichen ihrer Dankbarkeit bot sie ihm ein Glas Branntwein an, das seinen Geist belebte.
Nach der beschwerlichen Lektüre im Laderaum war es nun eine Wohltat, die Chronik bei Tageslicht und in so angenehmer Gesellschaft zu lesen, zumal ihn Umina auf Einzelheiten aufmerksam machte, die ihm alleine entgangen wären, da er Peru und die Gebräuche der Inkas nicht kannte. Und Diego de Acuñas Erzählung tat ihr Übriges, erzählte der Dolmetscher doch nun von seiner ersten, heiß ersehnten Reise nach Vilcabamba.
Trotz Martín de Loyolas erbitterten Widerstands hatte man Diego de Acuña einer Gesandtschaft zugeteilt, die Vizekönig Francisco de Toledo Mitte 1571 ausschickte, um die Möglichkeit eines Friedens mit den Rebellen auszuloten. Man brauchte einen Dolmetscher, und Acuñas gute Beziehungen zu den Indios hatten sich herumgesprochen, ebenso wie die Geschichte seines Talismans, der den Ureinwohnern so großen Respekt einflößte. Man hoffte, dieser Schutz würde sich auch auf seine Begleiter ausweiten.
Nach einigen Tagesmärschen im Urubamba-Tal überquerten sie den Fluss auf der Brücke von Chuquichaca. Dort wurden sie sogleich von einem Trupp Rebellen empfangen, die sie von den Felsen aus umzingelten. Damit hatten sie jedoch gerechnet. Sie hatten Gaben für den Inka dabei, die die Indios bereitwillig in Empfang nahmen. Doch sie ließen die Spanier nicht weiterziehen. Diego schloss daraus, dass sie den Inka vor einem Hinterhalt schützen wollten, hatten sie doch aus den Erfahrungen gelernt, die Atahualpa einst mit Pizarro gemacht hatte. Nach einiger Zeit traf ein Häuptling mit zweihundert Indios ein und forderte sie auf, ihn zu
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