Quipu
einer Feder in seinem Hals, um das Meerwasser wieder nach oben zu befördern. Kurz darauf kam der Koch mit dem warmen Wein, den sie dem Jungen in den Rachen kippten. Als sie sahen, dass er reagierte, flößten sie ihm noch eine Tasse Olivenöl ein, damit das Salzwasser seine Gedärme nicht angriff.
Während sie auf die Wirkung dieser Mittel warteten, ergriff der Arzt sein Köfferchen und machte sich daran, die Wunden des Ingenieurs zu verbinden.
»Bei Ihnen sind es nur ein paar Kratzer, das ist nicht der Rede wert. Um den Jungen mache ich mir mehr Sorgen. Das sieht nicht gut aus.«
|204| »Ist es sehr ernst?«
»Das bleibt abzuwarten. Im Augenblick können wir nicht mehr tun. Und Sie sollten sich ausruhen.«
Nach der Anstrengung und dem Sturm kam die Hitze. Als der Nebel sich lichtete und die Sonne am Himmel erstrahlte, zogen die Männer ihre Regenmäntel aus geteertem Segeltuch wieder aus. Aus der Küche wurde Kaffee gebracht, und allmählich kamen die Matrosen nach der Anspannung wieder zur Ruhe.
Man hörte das Klappern von Töpfen, und erste Düfte stiegen aus der Kombüse empor. Planen zum Schutz gegen die Sonne wurden aufgespannt, bevor der Klang der Essensglocke sich über dem tiefblauen Meer ausbreitete.
Sebastián wollte nichts essen. Dank seines heldenhaften Verhaltens hatte er seine Bewegungsfreiheit wiedererlangt und fiel erschöpft in seine Hängematte, wo er viele Stunden schlief.
Als er aufwachte und den Schiffsjungen besuchte, hatte er den Eindruck, dass dieser sich ganz gut erholte.
»Wie eine Rose«, scherzte Hermógenes.
Der Junge versuchte zu lächeln. Doch es war kein Lächeln, das sein Gesicht erstrahlen ließ. Sebastián kam es merkwürdig vor. Als er den Arzt dazu befragte, antwortete dieser ausweichend:
»Ich habe ihm ein wenig Laudanum gegeben. Jetzt muss die Natur ihren Lauf nehmen. Lassen Sie ihn schlafen.«
Kapitän Valdés war ebenfalls gekommen, um den kleinen Schiffsjungen zu besuchen.
»In wenigen Tagen haben wir unser Ziel erreicht. Dort wird man sich besser um Miguel kümmern können als wir hier.« Er blickte den Ingenieur an. »Sie werde ich aber den Autoritäten überstellen müssen. So leid es mir tut.«
Während Sebastián über Miguelitos Schlaf wachte, kam ihm wieder in den Sinn, was Umina ihm bei ihrem letzten Beisammensein erzählt hatte: jene Geschichte aus Diego de Acuñas Chronik, in der dieser über die traurigen Ereignisse berichtete, die zur Einnahme Vilcabambas führten.
|205| Die gescheiterte Mission, bei der er Sírax wiedersah, hatte dem Ruf des Dolmetschers erheblich geschadet. Dafür hatte vor allem Martín de Loyola gesorgt, der dem Vizekönig Francisco de Toledo seine eigene Version der Ereignisse übermittelte. Dieser wollte nun die Eroberung der Bergfestung beschleunigen. Daher setzte er am 14. April 1572, einem Palmsonntag, eine schreckliche Kriegsmaschinerie in Gang, die dieser Brutstätte rebellischer Indios ein für allemal den Garaus machen sollte.
Als Acuña diese Pläne zu Ohren kamen, wusste er sofort, dass es sich um den letzten Heereszug zur Auslöschung Vilcabambas handeln würde. Also begann er mit allen Mitteln darum zu kämpfen, Teil dieser Expedition zu werden. Er wollte unbedingt verhindern, dass Sírax den Tod fand.
Der Vizekönig stellte eine bedrückend große Streitmacht zusammen, mit allen nur erdenklichen Soldaten, die einer solchen Kampagne dienlich sein konnten. Und als Beute schrieb er obendrein eine ganz besondere Trophäe aus: Wer den rebellischen Inka gefangen nähme, bekomme Beatriz Clara Coya zur Frau, die Tochter des Inkas Sayri Túpac, der den Friedensvertrag mit den Spaniern unterzeichnet habe. Neben der Hand dieser reichen Erbin erhalte er außerdem die beste Kommende Perus, und seine Nachfahren hätten Anrecht auf die Inkanachfolge. Solch eine Gelegenheit bot sich nicht alle Tage.
Als Diego dies erfuhr, wurde ihm klar, was man damit Sírax antat. Als Manco Cápacs Tochter und Schwester des herrschenden Inkas war sie nach Túpac Amaru die ranghöchste Adlige ihrer Dynastie. Offenbarte er Sírax’ Rang und Stellung, so gefährdete er das Leben der jungen Prinzessin und vereitelte die Bemühungen, die ihr Vater Manco Cápac und ihre Mutter Quispi Quipu getroffen hatten. Und er selbst, Acuña, würde das Misstrauen und den Verdacht der Seinen schüren, die ihn erneut beschuldigen würden, sich auf die Seite der Indios geschlagen zu haben.
|206| Eine ganze Woche lang tat er alles, um an dem Feldzug
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