Quipu
ist es wie eine Maske.«
Der Arzt machte ihm ein Zeichen, ihm aufs Deck zu folgen.
»Das ist der Rictus sardonicus«, gestand er ihm dort.
»Der was bitte?«
»Ein Muskelkrampf, ein Spasmus im Unterkiefer, Hals und Gesicht.«
»Und ist das etwas Schlimmes?«
»Ja, etwas sehr Schlimmes. Das ist Tetanus.«
»Um Himmels willen! Gibt es dagegen kein Mittel?«
»Nein. Und man stirbt auf schreckliche Weise. Der arme Junge …«
Bald wusste es das ganze Schiff. Die Matrosen standen in Gruppen beisammen, zunehmend besorgt, je weiter die Krankheit |211| voranschritt. Die Lähmung ergriff immer mehr Besitz von Miguels geschwächtem Körper, drückte ihm den Kehlkopf zu und verwandelte seinen Atem in das Röcheln eines Sterbenden.
Je mehr die Krankheit sich seiner Glieder bemächtigte, umso heftiger wurden die Krämpfe. Sie traten so unvermittelt und so häufig auf, dass sie ihm die Bauchmuskeln zerfetzten, was ihm fürchterliche Schmerzen bereitete. Der Arzt erhöhte die Dosis des Laudanums, das er eigenhändig aus Esmirna-Opium, Málagawein, Zimt, Safran, Honig und Bierhefe herstellte. Später begannen die Wirbel zu brechen, was dem Kranken unsägliche Qualen bereitete, als würde er von Messern durchbohrt. Die Schreie des Jungen waren auf dem ganzen Schiff zu hören, und jedes Mal, wenn die Matrosen sie vernahmen, legten sie die Arbeit nieder. Eine ungeheure Spannung war spürbar, und Valdés war ernstlich besorgt. Er wusste nur zu gut, wie beliebt der Junge bei der Besatzung war. Der Kaplan besuchte Miguelito immer häufiger. Jeden Augenblick wurde das tödliche Ende erwartet. Da verstummten auf einmal die Schreie.
Alle strömten zu der Luke, durch die man in die Krankenstation gelangte. Valdés kam angelaufen und musste all seine Autorität aufbringen, damit die Seeleute oben an Deck warteten.
Als er schließlich schweren Schrittes mit dem Kaplan wieder auf der Treppe auftauchte, setzte er die Mütze auf und verkündete:
»Die Beerdigung findet heute Nachmittag statt.«
Eine tödliche Stille legte sich über das Schiff. Selbst die Segel wirkten auf einmal wie Leichentücher. Am späten Nachmittag wurde der Leichnam an Deck gebracht und auf eine der Grätings, jener Gitterroste über den Luken, gelegt. Miguelito war in seine Hängematte gewickelt und der Länge nach verschnürt worden, wie die Puppe eines Schmetterlings, der niemals schlüpfen würde. Die zum Meer gewandten Füße wurden mit Kanonenkugeln beschwert. Inmitten der barhäuptigen Besatzung las der Kaplan, bekleidet mit Stola und Chorhemd, die Totenmesse. Danach wurde das Gitter über die Reling geneigt. Das Segeltuch machte ein zischendes Geräusch, als es über die Gräting glitt. Mit einem |212| dumpfen Schlag prallte der Leichnahm auf die Wasseroberfläche. Als das türkisblaue Meer die Gabe entgegennahm, die man ihm darbrachte, stieg ein Strahl von Bläschen aus dem Wasser empor. Valdés bedeutete den Matrosen, an ihre Posten zurückzukehren. Doch niemand rührte sich. Der Befehl wurde wiederholt, und da erhoben sich Stimmen, die nach dem Schuldigen verlangten. Es kam die Frage auf, wer die Aufhängung des Beiboots gelockert habe. Einer der Seeleute ging sogar noch weiter: »Sicher war es derjenige, der in der Kaplanskabine an Steuerbord reist.«
Sebastián hatte den Eindruck, als diktiere jemand diesem Mann von hinten die Worte. Jemand, der sich davonschlich, als er versuchte, sich ihm zu nähern. Er konnte es nicht gut erkennen, aber ihm war so, als trage dieser Jemand etwas um den linken Arm. Vielleicht einen Verband?
Es war jedoch zu spät, ihn zu verfolgen. Die aufbegehrende Besatzung bewegte sich bereits auf die Heckkabine zu.
Während ein Dutzend Matrosen zu dem für sie gesperrten Ort hinabstieg, hielten ein paar von Montillas Männern im Achterdeck Valdés fest. Sebastián wurde klar, dass der Kapitän, obgleich er ein sehr guter Seemann war, von seinen Offizieren nicht als einer der Ihren angesehen wurde.
Kurz darauf kehrten die Matrosen mit einem völlig verängstigten Qaytu zurück. Vermutlich hatte der Indio sich ihnen in den Weg gestellt, um zu verhindern, dass sie weiter vordrangen und Umina überraschten.
Als der Ingenieur begriff, dass sie ihn ins Meer werfen wollten, kämpfte er sich zum Oberdeck durch.
»Hört mir zu! Dieser Mann kann nicht sprechen, er ist stumm. Er trägt nicht nur keine Schuld an Miguels Tod, sondern hat mich und ihn sogar vor dem Ertrinken gerettet.«
Da trat der Seemann, der der Rädelsführer
Weitere Kostenlose Bücher