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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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anders ist. Nichts kann unterschiedlicher sein als ein Indio und ein Spanier. Der Indio kennt keine Habgier, und der Spanier scheint keine Grenzen zu kennen; der Indio ist phlegmatisch, der Spanier cholerisch; der Indio ist bescheiden, während es keinen arroganteren Menschenschlag als den der Spanier gibt; der Indio lässt sich bei allem Zeit, der Spanier hat bei allem Eile; der Indio ist ein Feind des Dienens und der Spanier |219| ein Freund des Befehlens, und nur dafür scheint er geboren zu sein   …«
    »Hören Sie auf!« Sebastián hob abwehrend die Hände und lachte. »Aber was passiert dann bei einer Mestizin wie Ihnen, die beides in sich vereint?«
    »Wenn Sie die Antwort wissen wollen, müssen Sie es selbst herausfinden«, antwortete Umina und warf ihm einen koketten Blick zu.
     
    Das Essen war so etwas wie die offizielle Unterzeichnung eines Waffenstillstandes. Sogar das Meer schien heiteres Wetter und Ruhe zu versprechen.
    Die Matrosen trugen Umina auf Händen. Sie schmückten den Platz am Heck, an dem sie zu sitzen pflegte, mit Bändern und Wimpeln, was für dieses sonst so nüchterne Kriegsschiff absolut unüblich war. Und obwohl die Mestizin ihre Sorge über die Vorfälle nicht verbergen konnte, war sie doch erleichtert darüber, an Deck herumspazieren zu können und sich nicht mehr verstecken zu müssen.
    Nur ein Wesen an Bord war ihr feindlich gesinnt: Luna, die Katze. Sie ertrug nur schwerlich die Anwesenheit eines zweiten weiblichen Wesens an Bord. Nur wenn sie sah, dass Sebastián und Umina sich anschickten, gemeinsam in der Chronik zu lesen, schmiegte sie sich schnurrend an die beiden, als ginge die darin erzählte Geschichte sie ebenfalls etwas an.

|220| Die Gedenkschrift
    D iego de Acuñas Bericht endete mit dem Schicksal von Túpac Amaru. Nach Vilcabambas Niederlage und der Gefangennahme des letzten Inkas schien den Neffen des heiligen Ignatius nur noch sein triumphaler Einzug in Cuzco zu interessieren, der ihm zu größtem Ruhm gereichen sollte.
    Am 21.   September 1572, dem Namenstag des heiligen Matthäus, zog die Truppe mit den Gefangenen in die alte Hauptstadt ein. Zuerst begann die Glocke der Kathedrale zu läuten. Alsbald gesellten sich auch die übrigen Glocken hinzu, bis die ganze Stadt von ihrem lautstarken, alle Straßen durchdringenden Ruf erzitterte.
    Die ersten Reihen der Schaulustigen waren mit Spaniern besetzt. Dahinter konnte Diego jedoch auch Indios mit undurchdringlichen, aber auch verwirrten Blicken erkennen. Die Niedergeschlagenheit, die er bei ihnen beobachtete, verriet ihre tiefe Verzweiflung über die zerstörten Hoffnungen.
    Martín de Loyola führte seinen Gefangenen, dessen Haupt die königliche
mascapaicha
krönte, an einer goldenen Kette. Hinter dem Inka marschierten dessen Frau, Kinder, Brüder und Familienangehörigen. Danach kamen die mumifizierten Leichname der in Vilcabamba verstorbenen Inkas Manco Cápac und Tito Cusi und in all seinem Glanz der goldene Punchao.
    Acuña bewunderte die seelische Verfassung Túpac Amarus. Dieser schritt nicht mit der Verzagtheit eines Verlierers einher, |221| sondern mit der standesgemäßen Würde des letzten Sprosses eines bedeutenden Herrschergeschlechts. Diese war so groß, dass Martín de Loyola dem Inka befahl, vor dem Vizekönig zum Zeichen der Unterwerfung seinen Kopfschmuck abzunehmen. Der Gefangene weigerte sich und antwortete stolz, das tue er nicht vor jemandem, der nur Diener des spanischen Königs sei. Da ohrfeigte Loyola ihn.
    Diego spürte, wie schmerzlich dieses Schauspiel für die Indios sein musste. Vor allem für Sírax, die sicher irgendwo in der Menge der Erniedrigung des Bruders beiwohnte. Und er dachte, dass sie ihn nun unweigerlich für einen Befürworter dieser Ungerechtigkeit halten musste.
    Nachdem Túpac Amaru wie eine Jagdtrophäe durch die Straßen der alten Hauptstadt geführt worden war, brachte man ihn nach La Colcampata, auf jenen Cuzco überragenden Hügel, wo sich einst der Palast des ersten Inkas erhoben hatte und nun die religiöse Einweisung des Angeklagten erfolgen sollte. Gleichzeitig wurde in aller Eile ein Gerichtsverfahren eingeleitet.
     
    In den folgenden Tagen suchte Acuña Sírax überall. Zunächst begab er sich zum Schlangenhaus. Er wusste, dass es auf Beschluss Philipps II. an Quispi Quipu zurückgegeben worden war. Und dass diese in ihrem Testament bestimmt hatte, es ihren Erben zu überlassen. Obwohl er lange an das imposante Portal des Hauses klopfte, klang es, als

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