Quipu
Platz. Niemand rührte sich. Der Inka sprach kurz auf Quechua zu ihnen und erwähnte dabei dreimal den Punchao.
Selbst viele Spanier waren ergriffen. Cristóbal de Fonseca und andere Kirchenleute ersuchten den Vizekönig erneut um eine Begnadigung des Inkas. Doch Toledo weigerte sich, auf ihre Gesuche einzugehen, und gab Anweisung, mit der Hinrichtung fortzufahren.
Da durchbrach ein Schrei die spannungsgeladene Stille auf dem Platz. Er kam von Diego, der neben Cristóbal de Fonseca stand. Er stieß Martín de Loyola beiseite und versuchte, aufs Schafott zu gelangen. Er kam nicht weit. Loyola streckte ihn mit einem Schlag nieder und befahl zweien seiner Hellebardiere, ihn festzuhalten.
So musste Acuña mit ansehen, wie der Henker auf ein Zeichen des Vizekönigs auf den Inka zuging, ihn mit der linken Hand an den Haaren packte, während seine rechte das Schwert hob. Die Schneide blitzte in der Luft auf, während sie auf den Hals des Inkas niederging. Und sie traf so genau, dass der Kopf im selben Augenblick vom Rumpf getrennt wurde. Blut spritzte in alle Richtungen.
Der Scharfrichter hob den Kopf in die Höhe. Er zuckte noch, die Augen blinzelten, während der Körper des Inkas langsam auf dem Hackklotz zusammensackte und auf das Podest fiel. Aus Tausenden von Kehlen erscholl ein einziger Schrei.
Die Hellebardiere hatten alle Hände voll zu tun, um mit ihren Lanzen die Menge in Schach zu halten. Inmitten dieses ganzen Tumults griff Diego de Acuña zum Schwert. Doch Loyola, bereits vorgewarnt, zog sogleich das seine und stach ihm in die Brust, wodurch er schwer verletzt niederging. |225| Er hätte den Dolmetscher gar an Ort und Stelle getötet, wäre nicht Cristóbal de Fonseca seinem Schüler zu Hilfe geeilt.
Als Acuña Tage später auf der Krankenstation der Jesuiten wieder zu sich kam, saß Sírax neben ihm.
Unter heftigem Schluchzen erzählte sie ihm den Rest der Geschichte: Nach der Hinrichtung wurde Túpac Amarus Kopf neben dem Schafott aufgespießt. Und als es Nacht wurde, versammelten sich dort Scharen von Indios, die sich von keiner Strafandrohung hatten abbringen lassen, ihrem Inka die letzte Ehre zu erweisen. Sie übergaben seinen von Priestern und Inkaadligen getragenen Leichnam den Dominikanerpatern. Sie sollten ihn neben seinem Bruder Sayri Túpac in der Gruft des Klosters Santo Domingo, wo einst der Sonnentempel Coricancha gestanden hatte, begraben.
Sírax wachte jede Nacht bei dem schwer verwundeten Dolmetscher. Bald schon ging es ihm besser, und er zeigte sich so munter, dass alle davon ausgingen, er würde sich erholen.
Doch ein paar Tage später setzte der Wundbrand ein. Da beschloss Diego, seinem Lehrer die wahre Identität der jungen Indiofrau zu enthüllen. Als Cristóbal de Fonseca die Wahrheit erfuhr, begann er sich um die Prinzessin zu sorgen und zu überlegen, wie er ihre Sicherheit gewährleisten konnte.
Auch auf seinem Gewissen lastete Martín de Loyolas Verhalten. Kraft der Ehe mit Beatriz Clara Coya hatte der Hauptmann sämtliche, im fruchtbaren Yucay-Tal gelegenen Ländereien übertragen bekommen, die einst Sayri Túpac gehört hatten. Der Neffe des heiligen Ignatius hatte gar noch eine unwürdige Forderung gestellt: Er wollte seinem Wappenzeichen ein geköpftes Haupt hinzufügen, in Anspielung auf Túpac Amarus Hinrichtung. Sein Wunsch wurde ihm zum Glück verwehrt.
|226| Für die jugendliche Erbprinzessin machte es nicht den geringsten Unterschied, verheiratet zu sein oder nicht. Denn ihr Ehemann sperrte sie nicht nur im Kloster Santa Clara ein, vielmehr kam er auch seinen ehelichen Pflichten nicht nach, sei es, weil sie eine Eingeborene war, oder weil er nichts mit Frauen anfangen konnte, wie böse Zungen behaupteten.
Das war die letzte Nachricht, die Cristóbal de Fonseca Diego de Acuña übermittelte, ehe er Vorbereitungen traf, mit Sírax nach Spanien zu reisen. Dies war nur deshalb möglich, weil der Vizekönig ihm den Geheimauftrag erteilt hatte, den Punchao nach Madrid zu bringen. Francisco de Toledo wollte Philipp II. diese geschätzte Beute darbieten, um so den Protesten entgegenzuwirken, die wegen der von ihm angeordneten Hinrichtung Túpac Amarus am Hofe eingingen. Deshalb schlug der Vizekönig seiner Majestät vor, den Papst damit zu beschenken. Um in dieser Angelegenheit vollkommene Diskretion zu gewährleisten, sollte ein Jesuit mit dieser Mission betraut werden und auf dem Schwarzen Schiff nach Spanien reisen.
Als dem Dolmetscher diese Pläne zu Ohren
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