Quipu
stünde es vollkommen leer. Falls Sírax nach Cuzco gekommen war, hatte sie wahrscheinlich einen unauffälligeren Aufenthaltsort gewählt.
Er traf sie schließlich gänzlich unerwartet im Gefängnis von La Colcampata, wo er die Aussage eines der Gefangenen übersetzt hatte. Acuña hätte sie nicht einmal erkannt, wären sie sich nicht direkt in die Arme gelaufen, trug sie doch die gewöhnliche Kleidung einer Indiofrau. Erschreckt bedeutete sie ihm, sie nicht zu verraten, und so tat er, als kenne er sie |222| nicht. Er folgte ihr zum Ausgang und danach durch eine Gasse. Kaum war die Palastwache außer Sicht, bat er sie eilends, am nächsten Mittag zum Sitz der Gesellschaft Jesu zu kommen, wo man einst ihre Mutter Quispi Quipu nach der Räumung des Schlangenhauses aufgenommen hatte.
Sie weigerte sich zornig. Erst Cristóbal de Fonseca konnte sie davon überzeugen, dass sie Diego Unrecht tat, wenn sie ihn für Martín de Loyolas Komplizen hielt, hatte der Dolmetscher doch alles getan, um ihr Leben zu retten.
Als die beiden jungen Leute sich schließlich gegenübersaßen, brach sie in Tränen aus und warf ihm vor, das in Vilcabamba gegebene Versprechen nicht gehalten und zudem am Feldzug gegen ihren Bruder teilgenommen zu haben. Es habe ihr das Herz gebrochen, ihn zusammen mit den Siegern in Cuzco einmarschieren zu sehen.
Er versuchte, ihr die schwierigen Umstände zu erklären, unter denen dies alles erfolgt war, und sagte, dass er nur mit nach Vilcabamba marschiert sei, um sie und die Ihren zu beschützen. Dann versicherte er ihr, dass ihrem Bruder ein gerechtes Urteil zuteil werde.
Dies wollte sie gerne glauben. Und in ihrer Verzweiflung ließ sie ihn erneut schwören.
In der Zwischenzeit hatte der Vizekönig Francisco de Toledo jedoch Túpac Amarus Tod beschlossen. Die Nachricht verbreitete sich in Cuzco wie ein Lauffeuer. Niemand hatte es für möglich gehalten, dass sich vierzig Jahre nach Atahualpas Hinrichtung durch Pizarro diese Schmach wiederholen würde.
Als Diego de Acuña dies erfuhr, war er völlig niedergeschmettert. Er verfügte über keinerlei Macht. Nur Cristóbal de Fonseca konnte noch um eine Begnadigung des Inkas ersuchen. Wieder einmal musste er seinen Lehrer um Hilfe bitten.
Doch der Vizekönig war unerbittlich. Die Meinung Martín de Loyolas, dessen Ehrgeiz es war, die Hinrichtung des |223| von ihm gefassten Inkas zu erreichen, schien mehr Gewicht zu haben. Da man ihm die Hand der Inkaerbin Beatriz Clara Coya versprochen hatte, würden seine zukünftige Ehefrau und ihre gemeinsamen Nachfahren fortan an der Spitze der Erbfolgelinie stehen.
Als Diego über seinen Quechua-Lehrer davon erfuhr, versuchte er, sich mit Sírax zu treffen. Er wollte der jungen Frau erklären, was geschehen war. Doch sie wollte ihn nicht mehr sehen.
Am Tag der Hinrichtung begab Acuña sich mit Cristóbal de Fonseca zum Gefängnis von La Colcampata. Der Jesuit hegte noch immer die Hoffnung auf eine Begnadigung in letzter Stunde.
Sie sahen zu, wie der Gefangene aus der Zelle geholt und auf einen Maulesel gesetzt wurde. Dann wurde er den Hügel hinab zur Plaza de Armas geführt, wo einst Túpac Amarus Vorfahren ihre Siege gefeiert hatten und nun das mit schwarzen Tüchern bedeckte Schafott aufgebaut war.
Nach langem Suchen gewahrte Diego schließlich Sírax in der Menge. All seine Versuche, sich zu ihr durchzudrängen, waren vergebens. Selbst der oberste Henker, der vor dem Maulesel ging, konnte sich nur mit Mühe und der Hilfe seines Stocks einen Weg durch die Menge bahnen, die sämtliche Straßen und Plätze verstopfte.
Als der Angeklagte an ihnen vorbeikam, fielen viele seiner einstigen Untertanen auf die Knie. Túpac Amaru dankte ihnen mit einem düsteren, ausdruckslosen Neigen des Kopfes.
Mit unerschütterlicher Würde betrat der Inka das Podest. Als jedoch seine Kinder das Schafott bestiegen, um sich von ihm zu verabschieden, konnte er nur noch mit Mühe Haltung bewahren. Dann trat der Cañari-Indio, der ihn hinrichten sollte, auf ihn zu. Als er das Schwert zog, erhob sich ein lautes Wehgeschrei unter den versammelten Indios. Das Schreien und Wehklagen erreichte eine solche Lautstärke, dass es den Himmel zu erschüttern drohte.
|224| Da hob Túpac Amaru kurz seine rechte Hand. Selbst in diesem schwierigen Augenblick hatten seine Untertanen so großen Respekt vor ihm, dass ein solches Zeichen genügte, um die Menge zum Schweigen und zu sofortigem Gehorsam zu bringen. Tiefe Stille legte sich über den
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