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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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dort abbauen, mit dem sich Spanien behängt.
    Sie haben die Lust am Leben verloren, denn sie spüren, dass alles, was sie, ihre Kinder und Nachfahren vom Leben haben werden, die Arbeit für die Spanier ist, ohne dass sie selbst Nutzen daraus ziehen.
    Einige verhungern aus freien Stücken, andere erhängen sich oder nehmen giftige Kräuter ein. Es gibt Mütter, die ihre Kinder gleich nach der Geburt töten, um sie vor der Fronarbeit, die sie selbst leisten, zu bewahren. Es ist ein großer Jammer, so bescheidene und gehorsame Menschen in einem solchen Zustand zu erleben.
     
    |229| Nach der Lektüre verharrten Umina und Sebastián in Schweigen. Sie waren tief betroffen.
    »Hier ist noch eine Seite«, sagte der Ingenieur schließlich.
    Dort hieß es, Diego habe Sírax diese Anklageschrift übersetzt, woraufhin die junge Frau etwas noch Ungewöhnlicheres getan habe: Sie bat den Schreiber, die Feder nicht wegzulegen, sondern noch niederzuschreiben, was sie ihm auf Quechua diktieren wolle. Und dann nahm sie das rote Quipu wie einen Rosenkranz in die Hände, und während ihre Finger die Schnüre und Knoten entlangfuhren, diktierte sie ihm eine lange Liste von Wörtern.
    »Was mag das für eine Liste sein?«, fragte Umina und nahm die letzte Seite der Chronik näher in Augenschein. »Hier stehen ein paar Worte auf Quechua   … Aber es geht nicht weiter, es müssen ein paar Seiten fehlen   …«
    »Wenn Sírax sie Diego mit dem Quipu in der Hand diktiert hat, dann ist das eine Umschrift der Knoten! Dann hätten wir hier etwas ganz Außergewöhnliches vor uns: die einzige noch existierende Umschrift, die es ermöglichen würde, diese Sprache aus Schnüren und Knoten zu entziffern!«
    Der Ingenieur streichelte die Katze, die auf seinem Schoß geschlafen hatte, und begann die Heftung der Chronik zu untersuchen.
    »Irgendjemand hat die letzten drei Seiten herausgerissen. Und wir wissen auch nicht, wo sich dieses Quipu heute befindet.«
    Er zeigte Umina den Rücken der Chronik, wo die Reste der ausgerissenen Seiten sowie ein rotes Stück Schnur heraushingen.
    Die Katze Luna streckte die Tatze nach dieser Schnur aus und verhedderte sich mit ihren Krallen darin. Als Sebastián dem Tier zu Hilfe kommen wollte, riss sie dabei die gesamte Heftschnur heraus. Die alten Bögen lösten sich und fielen einzeln zu Boden. Während der Ingenieur sie aufsammelte,entwand Umina der Katze die Schnur.
    »Wenn man davon spricht   … Hier haben Sie das Quipu.«
    »Das ist das Quipu?«, fragte Sebastián ungläubig. »Das sieht aus wie Seide.«
    |230| »Es ist feinste Vikunja-Wolle, mit der wir in den Anden weben. In diesen Schnüren und Knoten findet sich das, was so viele gesucht haben.«
    Sie zeigte ihm den unverwechselbaren Knoten mit den vier Windungen.
    »Können Sie das lesen?«
    »Nein«, gab sie zu. »Nur ganz wenige Leute können ein solches Quipu entschlüsseln. Falls es überhaupt noch jemanden gibt, dann finden wir ihn nur in der Gegend um Cuzco.«
    In diesem Moment unterbrach sie ein lauter Schrei des Wachmatrosen: Er hatte vom Mastkorb aus Land gesichtet.
    Sebastián und Umina sahen sich an. Bald würde der Augenblick des Abschieds kommen. Sebastián würde den Autoritäten des Festlands überstellt werden, während Umina in dem heruntergekommenen Hafen
Nombre de Dios
würde warten müssen, bis sie und ihr Gepäck über Land weiterbefördert würden und sie von der Pazifikseite aus in einem Handelsschiff weiterreisen konnte.
    »Jetzt oder nie«, sagte Sebastián und erhob sich.
    »Wohin gehen Sie?«
    »Ich muss endlich herausfinden, wem dieses Gepäck im Laderaum gehört.«
    »Und was mache ich damit?«, fragte die Mestizin und zeigte auf die Chronik und das Quipu.
    »Heben Sie beides gut auf«, antwortete er und wollte ihr schon seinen Wachstuchbeutel reichen, als ihm im letzten Moment noch etwas einfiel und er den Brief herauszog, den sein Onkel Álvaro ihm anvertraut hatte. »Könnten Sie diesen Brief bitte in Lima seinem Empfänger aushändigen? Was die Chronik und das Quipu betrifft, so bin ich mir sicher, dass Sie sie besser nutzen können als ich. Außerdem gehören sie in gewisser Weise Ihnen. Wir Fonsecas waren nur die Verwahrer, wie Sie gesagt haben.«

|231| Von Angesicht zu Angesicht
    E s war die letzte Gelegenheit für Sebastián,herauszufinden, wer der Mörder seines Vaters und seines Onkels war. Und das war nur möglich, wenn er die Truhe mit dem grünen Cape ausfindig machte. Gelang ihm dies nicht, hielt der Mörder

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